100 Seiten

Ich habe sie geknackt, die 100 Seiten! Was für Seiten?
Seit Jahren habe ich den Traum, ein Buch über das Amt für Wunscherfüllung und Vielleicht-Management zu schreiben. Erst über meine Erfahrungen in meinem gleichnamigen Projekt 2018, dann doch lieber in einer fiktiven Form, um Grenzen zu überschreiten, die ich als juristische Person und sowieso eben auch einfach als „ich“ nicht überschreiten will. Warum ich für 100 Seiten nun aber fast sechs Jahre gebraucht habe, und was das Ganze mit meinem Bild von mir als arbeitendem Menschen zu tun hat – da komme ich ins Nachdenken.


Ich habe immer gern gearbeitet und war extrem intrinsisch motiviert – Kompromisse waren nur schwer auszuhalten, was sich auch im Einkommen gezeigt hat – freiberuflich in den Bereichen Kultur und Pädagogik, da verdient man gerade genug, um eine Steuererklärung abgeben zu müssen. Und ich hatte das Bild: Ich arbeite für immer, ich höre einfach nicht auf. Das war okay für mich.

Nicht mehr arbeiten können.


Dass ich nun gesundheitlich so früh an einen Punkt gekommen bin, an dem ich allen Ernstes Rentnerin (auf Zeit) geworden bin, darauf wäre ich nicht gekommen, und es war sehr schwer für mich, das zu akzeptieren. Ich habe andere Wege probiert: Krampfhaft gegen eine Krankheit angekämpft, die zu diesem Zeitpunkt einfach stärker war. Mir einen Brotjob in Teilzeit gesucht. Und massiv um den Familienfrieden gerungen, denn ein Einkommensverlust betrifft den ganzen Haushalt und belastet das soziale Gefüge, und da sollte man viel offener drüber sprechen.

Und in dieser ganzen Zeit habe ich immer wieder etwas geschrieben – hier ein paar Sätze. Dort einen Gedanken. Eine Figur entstand, die mir ähnlich ist und doch ganz anders, die alles richtig machen will und sich mal sehr originell und mal sehr dämlich verhält: Lovis, Anfang 40 und nicht immer so richtig ehrlich mit sich selbst. Ein Arbeitstitel entstand: Lovis will das Gute. Und Lovis Geschichte fing genau da an, wo meine künstlerische Arbeit aufgehört hatte: In Grünau, und zwar als Amtsleiterin des Amts für Wunscherfüllung und Vielleicht-Managements.

Lovis will das Gute


Dann kam der nächste Zusammenbruch und ich musste eine ganze Menge aufräumen. Und mich damit anfreunden, dass es nicht nur darum geht, mich nach einer Phase zu reparieren und dann weiter zu machen, sondern endlich zu akzeptieren, dass ich bestimmte Wege wahrscheinlich nicht werde gehen können. Ich hätte gerne professionell Theater gemacht, aber dazu gehört eben nicht nur kreatives Talent, sondern auch das Vermögen, sehr mobil zu sein, sehr viel zu arbeiten, Familie, Freunde, Therapien nicht immer in der Nähe zu haben, auf lange Ruhephasen zu verzichten… Ich würde sogar noch einen Schritt weitergehen: Die meisten beruflichen Positionen, in denen man wirklich etwas gestalten kann, sind mit einem Zeitaufwand, einer Mobilät etc. verbunden, der für mich aktuell schwierig wirkt. Umgekehrt sind Aufgaben ohne Gestaltungsaspekt für mich aber leider uninteressant. Ich langweile mich, und das hat noch nie gut geendet.
Also doch wieder kreativ, doch wieder selbstbestimmt, doch wieder prekär. Seit einem Jahr arbeite ich (neben der Rente) an kleineren Aufträgen als Autorin. Ich liebe es. Auch kulturpädagogisch war mal wieder was los. Endlich wieder im Bienenland! Und eben: Der Traum vom Buch. Es ist nicht leicht, denn auch wenn es mir seit geraumer Zeit deutlich besser geht, ich bekomme die Rente nicht ohne Grund. Am schwierigsten ist es mit der Konzentration, nicht selten schlafe ich beim Schreiben ein. Ich hoffe, dass das nicht am Inhalt liegt, sondern an den Medikamenten – ich bin fast sicher. Inzwischen schreibe ich dennoch jeden Tag, und es macht mir große Freude.

Ich habe Fragen!



Und weil ich an die Zukunft denke und sowieso auch trotz allem eine ehrgeizige Person bin, nehme ich die 100. Seite zum Anlass, euch jetzt endlich meine vielen Fragen zu stellen:
Ich würde gern mit einem_einer Anwält_in sprechen, mit jemandem der_die Ahnung von Fußamputationen hat, und wie findet man überhaupt einen Verlag und eine_ Agent_in?
Gibt es irgendwelche Netzwerke von Autor_innen in Leipzig und kenne ich da wen?

Ihr seht, ich will vom Sofa aus raus in die Welt und ich würde mich freuen, wenn wir uns dort treffen.
Bis dahin schließe ich völlig zusammenhangslos mit den letzten beiden Sätzen, die ich geschrieben habe, nicht repäsentativ und voller Freude. Denn die Ideen waren nie weg und haben endlich wieder Platz. Bis bald!

„Siehste, sagt Pittiplatsch.
Ich trinke das Glas aus. Arschloch.“

Betreff: Brandmauer

Die Enthüllungen von Correctiv sind ungeheuerlich: Menschen aus der AfD, CDU, Neonaziszene kommen zusammen und besprechen Konzepte zur Deportation unzähliger Menschen. Und die CDU sagt: NIX. Ich habe an Friedrich Merz geschrieben – macht gerne strgc!

An:

CDU-Bundesgeschäftsstelle

Klingelhöferstraße 8
10785 Berlin

E-Mail: friedrich.merz@cdu.de
Telefon: + 49 30 22070-0

Sehr geehrter Herr Merz,

wie Recherchen von CORRECTIV belegen, haben zwei Mitglieder der Werteunion an einem Treffen teilgenommen, bei welchem erörtert wurde, wie man künftig Menschen mit und ohne deutsche Staatsbürgerschaft „abschieben“ könne. Zu den anwesenden Redner_innen und Zuhörer_innen gehörten namhafte Mitglieder der AfD, aber auch bekannte Neonazis, die Zusammenkunft diente der Sammlung von Spenden für den oben beschriebenen Zweck. Die Mitglieder Ihrer Partei waren: Simone Baum (Werteunion NRW, Vorstand) und Michaela Schneider ( Werteunion NRW, stellvertretender Vorstand ).

Der ganze Plan verstößt eindeutig gegen das Grundgesetz.

Außerdem ist er absolut menschenverachtend.

Ich habe folgende Fragen:
1. Haben diese beiden CDU-Mitglieder in der Folge dieser Veranstaltung Anzeige erstattet oder zumindest parteiintern auf die Vorgänge hingewiesen?

Wenn nicht:
2. Haben sie gespendet?
3. Welche Konsequenzen wird ihr Verhalten parteiintern haben?

Mit der Bitte um eine öffentliche Antwort-
Solveig Hoffmann

mein tief.unten

Wie sich eine Depression anfühlt, das ist schwer zu verstehen, sagt man. Ich weiß es auch nicht. Ich kann nur erzählen, von meinem Blick auf meine Depression. Und weil ich Lust hatte etwas auszuprobieren, ist ein kleines Zine entstanden. Thema: Lächeln und Nicken.

Es ist Sommer, die Tage hopsen vorbei. Ich hatte mir mal erzählt, dass die EU-Rente eigentlich auch ein bisschen wie ein künstlerisches Stipendium sei, dass ich nie wieder so viel Zeit für meine Ideen haben würde. Das ist möglich. Aber trotz aller Liebe zur Kreativität gibt es auch Freund_innen, Netflix, den See… und wahnsinnig viele Cafes, die ich mir eigentlich nicht leisten kann. Währenddessen stauen sich die angefangenen Textdateien auf meinem Desktop, der Nobelpreis für Literatur wird noch warten müssen. Es ist kompliziert.

Kompliziert scheint auch ein anderes Thema zu sein, das mich mein Leben lang begleiten wird: Depression. Wenngleich das Internet voll von gut recherchierten und aufbereiteten Informationen ist – zum Beispiel hier – stoßen Betroffene und Angehörige nach meiner Erfahrung immer wieder auf zwei Probleme:

  1. fehlt in der Regel eine Anlaufstelle, die alle Baustellen dieser Erkrankung – medizinische, psychische, soziale, arbeitsrechtliche und finanzielle etc. – im Blick hat und an entsprechende Stellen ganz konkret im jeweiligen Ort verweist. Diese Informationen müssen sich viele mühsam selbst erarbeiten, im besten Falle können andere Patient_innen helfen – wenn man denn mit anderen ins Gespräch kommt. Dieses Problem ist riesengroß, und ich überlege oft, wer das lösen könnte.
  2. höre ich immer wieder den Klassiker: „Wie man sich da fühlt, das kann man sich vermutlich einfach nicht vorstellen…“

Keine Ahnung. Ich weiß auch nicht, ob es erstrebenswert ist, sich das vorzustellen. Aber die Empathie zu verstehen, dass es schlimm ist, die brauchen Betroffene ganz bestimmt. Und ich finde es umgekehrt auch total gut es zu versuchen, zu versuchen zu beschreiben, was in einem vorgeht.

Depressionen sind eine Krankheit, die über die Persönlichkeit der Erkrankten wahrgenommen wird.

Depressionen sind eine Krankheit mit spezifischen Symptomen, und diese bahnen sich ihren Weg durch ganz unterschiedliche Persönlichkeiten. Ärzt_innen und Therapeut_innen können über Depressionen sprechen, ich kann nur über meine Depression sprechen. Mein tief.unten.

Durch die tolle Lyrikerin Sirka Elspaß habe ich für all diese Gedanken eine Form gefunden: Ein Zine soll es sein. Ich habe meine Dateien zusammenkopiert, verschoben, neu gemacht, Fotos hinzugefügt, den Scanner repariert… Und ein erstes Thema gefunden. Lächeln und nicken. Das ist das, was ich mache, in den Wochen, bevor es kracht. Ich tue, was alle gerne sehen, ich denke, ich schaffe alles weil ich muss, ich lächle und denke „ihr Arschlöcher“, und dann ist es bald vorbei. Beziehungsweise dann geht es erst richtig los.

Ein kleines Zine ist es geworden, die Einzüge stimmen nicht, hier und da wurde was abgeschnitten, aber ich freue mich. Es ist seit Jahren das erste, klitzekleine Projekt, das ich nicht nur angefangen, sondern auch beendet habe. Ich werde es hier verschenken, da verteilen, wenn ihr eins haben wollt, müsst ihr euch mit mir treffen. Ich freu mich jetzt einfach, dass ich das gemacht habe. Und nun: Zeit für Netflix. Oder so.

Grünau wünscht…

Seit zwei Wochen bin ich als Amtsleiterin des Amtes für Wunscherfüllung und Vielleicht-Management im Auftrag des Haus Steinstraße e.V. in Leipzig-Grünau unterwegs und befrage die Menschen zu ihren Wünschen. Vieles gäbe es zum Konzept zu erzählen, doch vorerst zähle ich einfach Mal auf, was ich gehört habe – Menschen in Grünau wünschen sich:

Dass es in Grünau mehr als eine Bibliothek gibt. Eine kleine Schwester. Abkühlung. Dass die Sparkassenfiliale wieder eröffnet. Dass die Baumstämme aus dem Robert-Koch-Park abtransportiert werden. Wieder Kontakt zu den (erwachsenen) Kindern zu haben. Ein schönes Café, in dem man auch Mal essen gehen kann und wo nicht nur das Gesindel hingeht. Einen Ferienpass. Urlaub. Dass die Krankenkasse die Podologie bezahlt, wenn der Arzt sie verordnet. Bessere Barierrefreiheit im öffentlichen Nahverkehr. Saubere Spielplätze ohne Kippen und Scherben. Mehr Hilfen für Alleinerziehende, auch wenn die Kinder schon etwas größer sind. Beratung in Liebesdingen mit dem Ziel der Eheschließung. Dass man als Mensch mit Behinderung ernst genommen und respektiert wird. Dass der Rest von Leipzig nicht auf Grünau herabschaut. Mehr Polizeipräsenz. Dass man erfährt, was ein Amt in Bezug auf den eigenen Wunsch tut, wenn man dort anruft und sein Problem schildert. Eine Muschel mit einer Perle darin zu finden. Dass die Lieferfahrzeuge zum netto-Supermarkt die eigens gebaute Zufahrt nutzen anstatt durch die Dahlienstraße zu fahren. Ein Sternburg. Mehr Parkbänke. Dass die ostdeutsche Sprache nicht ausstirbt. Dass die Mittags-und die Nachtruhe eingehalten werden. Gesundheit. Einen Laden, in dem die Kunden veranlassen können, dass jemand etwas für sie im Internet bestellt. Dass weniger Bäume gefällt werden. Eine Ballonfahrt. Dass Dyskalkulie der Lese-Rechtschreibschwäche gleichgestellt wird. Eine_n deutsch-kurdisch-Übersetzer_in. Dass das Kindergeld erhöht wird. Dass es eine Nacht lang einen rechtsfreien Raum gibt, so dass man Ausländer erschießen kann. Längere Öffnungszeiten im Stadtteilladen. Dass die schadhafte Stelle an der Treppe ausgebessert wird. Hilfe bei der Wohnungssuche. Weltfrieden. Ein Kind.

Kooperation und Kollision – Interview mit Franziska Furcht von interaction Leipzig e.V

Wie kann eine Gemeinschaft unterschiedlicher Menschen funktionieren? – Mit dieser Frage beschäftigt sich unser „Labor für Kooperation und Kollision“, ein Performance-Projekt, das in den kommenden Monaten im öffentlichen Raum Leipzigs entwickelt und aufgeführt wird. Und weil wir alle so unterschiedlich sind, erzähle ich dieses Mal nicht einfach nur selbst von dem Projekt, sondern lasse auch die anderen zu Wort kommen. Als erstes Franziska Furcht, die für den Träger des Projekts interaction e.V. arbeitet und jede Menge positive Energie in unser Labor bringt.

Liebe Franzi, im „Labor für Kooperation und Kollision“ wollen wir das Thema „Gemeinschaft“ im öffentlichen Raum erforschen.Wenn dich jemand fragt, was wir da machen: Was antwortest du? Und was würdest du antworten, wenn du nur vier Worte benutzen dürftest?

Gemeinsam neue Perspektiven (er)leben.

So kurz hat das noch niemand geschafft 😉 In der Arbeit am „Labor für Kooperation und Kollision“ wird die Zusammenarbeit selbst zum Thema: Die Verteilung von Ressourcen und Geld, die Erweiterung der Gruppe, die Frage, wie wir neue Leute ansprechen und uns ansprechen lassen. Was beschäftigt dich an diesem Thema derzeit am meisten?

Ich arbeite seit vielen Jahren mit und in verschiedenen Teams. Dabei finde ich insbesondere die Art der Kommunikation, der Verteilung von Verantwortung, der gegenseitigen Unterstützung spannend. Ich bin immer wieder begeistert von der kollektiven Intelligenz, wie sie in den Teams, in denen ich momentan arbeite, nur so sprüht. Gemeinsam neue Impulse, Konzepte, Ideen zu entwickeln oder schnell zu ungewöhnlichen Lösungsansätzen zu kommen ist für mich jedes Mal überraschend und der Grund, weshalb ich es sehr schätze mit anderen zusammen zu arbeiten.

Differenz als Inspiration

Dabei die Differenz des anderen positiv wahrzunehmen und auszuhalten, sich vielleicht sogar davon inspirieren zu lassen und dann andere Perspektiven sowie Gedankengänge, Lösungsansätze und Vorgehensweisen auszuprobieren und eigene zu überdenken, ist eine Herausforderung und Chance, die ich auch in unserem Labor sehe. Dabei stelle ich immer wieder fest, dass wir einerseits das Ziel haben für alle offen zu sein, aber an manchen Stellen nicht sein können oder wollen und das auch ok ist. Oder dass jede_r wie ursprünglich gedacht einmal eine gänzlich neue Aufgabe übernimmt, die wir noch nie gemacht haben, realisieren wir, einige von uns sind aber doch wieder in gewohnte Aufgabenfelder selbst gesprungen oder hineingerutscht. Dann ist natürlich auch spannend, wie unser Projekt von außen wahrgenommen wird oder von Menschen, die neu dazukommen. Das alles ist unheimlich interessant und hat uns bereits zu ersten inspirierenden Perspektivwechseln geführt.

Und wenn wir dann mit dem Projekt in Mockau oder Paunsdorf oder auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz stehen und mit den Passant_innen ins Gespräch kommen wollen – was interessiert dich hier am meisten?

Dabei interessiert es mich vor allem, wie und ob wir es schaffen können auch ein heterogeneres Publikum zu erreichen. Menschen, die normalerweise nicht an einem künstlerisch-soziokulturellen Projekt teilnehmen würden, Menschen mit Vorbehalten, Menschen, die ganz anders sind als wir, andere Sichtweisen auf Gemeinschaft, Gesellschaft und Zusammenleben haben. Darauf und auf die konkreten Begegnungen bin ich sehr gespannt.

Was sind deine eigenen Wünsche an eine diverse Gemeinschaft?

Ich wünsche mir, dass Diversität für unsere Gemeinschaft, die bereits divers ist und schon immer war, zur Normalität wird. Ich wünsche mir, dass Menschen Begegnungen mit der Erfahrung von Otherness aushalten, annehmen und vielleicht manchmal auch suchen. Es ist normal, dass wir alle Vorurteile und persönliche Erfahrungen haben, die unser Bild auf „die anderen“ prägen. Die Frage ist, ob ich bereit bin dieses Bild jederzeit neu zu zeichnen? Dafür muss ich offen sein in meinem Geist und in meiner Bereitschaft für Begegnung. Und ich muss auch mal meine Vorurteilsbrille ablegen und „den anderen“ mit offenen Augen sehen, ohne gleich meine Schubladen im Schrank aufzureißen und ihn oder sie in eine zu stecken. Was dabei entstehen kann? Wunderbare Überraschungen und die Feststellung, dass wir einander ähnlicher sind, als wir denken.

Diversität abbilden

Ein Wunsch, der daraus folgt, ist, dass diese Diversität in unserer Gesellschaft auch stärker abgebildet wird in der Öffentlichkeit, sei es in wichtigen Positionen in der Arbeitswelt, auf Bühnen, im Diskurs, in den Medien etc. Dabei muss die sogenannte „Mehrheitsgesellschaft“ überlegen, ob dafür tatsächlich Chancengleichheit und Offenheit der Systeme besteht oder wie wir diese ändern müssen, um neuen, anderen Menschen Zugang zu ermöglichen, damit alle mitreden und unsere Gesellschaft mitgestalten können.

Du arbeitest bei interaction e.V. – der Verein ist Träger des Projekts und bietet allgemein eine Plattform, auf der Menschen mit und ohne Fluchtbiografie sich gemeinsam engagieren können. Was genau ist hier dein Job, und wie passt das Labor-Projekt dazu?

Ich arbeite in der Produktionsleitung der Theatergruppe von interaction Leipzig e.V. und leite das neue Projekt „Afeefa Leipzig“. Afeefa ist eine Onlineplattform, die Angebote im Bereich Transkulturalität, Integration und Engagement in Leipzig sichtbar macht, bald auch mehrsprachig. interaction Leipzig e.V. hat seit diesem Jahr die Trägerschaft der Website übernommen und bietet verschiedene partizipative Anschlussangebote an. Bei Afeefa genauso wie bei der Theatergruppe, welche gerade den Prozess der Ensemblebildung vollziehen möchte, ist immer wieder die Frage: Wie können neue Formate von Gemeinschaft entwickelt werden? Wie können wir neue Menschen einbeziehen und mitgestalten lassen? Was erwarten wir von dieser Gemeinschaft innerhalb des jeweiligen Projekts? Wie könnten wir ein noch heterogeneres Publikum erreichen und auch entscheidende Positionen innerhalb der Projekts vielfältig besetzen und öffnen? Das sind alles Fragen, die wir im Labor erkunden wollen und ich bin gespannt auf die Impulse, die das in meine Arbeit tragen wird. Natürlich ist es auch für mich ganz persönlich interessant selbst einen künstlerischen Beitrag für das Projekt zusammen mit anderen Künstler*innen zu gestalten, damit durch verschiedenste Bereiche der Stadt zu touren und währenddessen neue Menschen, Teilnehmende und Kooperationspartner kennen zu lernen.

Liebe Franzi, vielen Dank, dass du dir die Zeit für diese Fragen genommen hast!

Und weil wir im Projekt ja üben, Dinge aus der Hand zugeben und uns auf die Gemeinschaft zu verlassen, darfst du nun bestimmen, wen ich als nächstes interviewe…

…und das wird Jamie Grasse sein!

Das Labor für Kooperation und Kollision entsteht durch die Arbeit von:

Künstlerische Leitung & Organisation (Bauleitung): Johanna Dieme, Franziska Furcht, Jamie Grasse, Solveig Hoffmann, Laura Kröner, Katharina Wessel

Mitwirkende: Wael Alhamed, Alfred Fayad, Louise Wonneberger + X

Produktionsleitung: Blühende Landschaften

Eine Projekt von interaction Leipzig e.V./ gefördert im Fonds Neue Länder der Kulturstiftung des Bundes

Gemeinschaft doppelt: Eine Projektentwicklung

Eine Mail in Kinderschönschrift abgeschrieben? Das obige Foto erzählt den Start für ein neues Projekt, das sich in den kommenden Monaten entwickeln wird: Das Labor für Kooperation und Kollision erforscht das Thema Gemeinschaft. Träger ist der famose Verein Interaction in Kooperation mit Blühende Landschaften, und warum das Thema, wenn man es ernst meint, einen leicht in den Wahnsinn treibt, das beschreibe ich jetzt.

Gemeinschaft: Ein Thema

Das Thema „Gemeinschaft“ beschäftigt Katharina Wessel und mich seit der Gründung des Bienenlands 2015. Die aktuellen politischen Debatten heizen das natürlich an: „GehörtderIslamzuDeutschlandaberdieFrauenrechteundwasmachenwirmidenHartzernVeganernFeministinnenTransgender?“ Spalten ist leicht. Eine positive Vision von einer diversen Gemeinschaft zu entwickeln nicht. Danach suchen wir.

Nun könnte ich fix das Konzept beschreiben, die beteiligten Künstlerinnen nennen und fertig. Nur: Da wir es mit dem Thema ernst meinen, ist es so leicht eben nicht.

Gemeinschaft: Die Arbeit

Unser Anspruch: Unsere künstlerische Forschungsfrage spiegelt sich auf allen Ebenen der Projektorganisation wider. Kein brüllender Chef der seine demokratische Vision auf die Bühne diktiert. Sondern eine Gruppe, die sich kleinschrittig vorwärts tastet. Sich dabei selbst beobachtet. Und die dabei generierten Beobachtungen künstlerisch umsetzt.

Allein der Anspruch der Diversität ist schon schwierig umzusetzen: Auf unsere an viele spannende Kolleg_innen geschickte erste Einladung hin kamen nur Frauen. Männliche Kollegen sagten freundlich ab, gern mit dem Hinweis, wir könnten uns nochmal melden, wenn ihre Aufgabe im Projekt konkret beschreibbar sei. Da es uns um die gemeinsame Konzeptentwicklung ging, scheiterte die Diversität in puncto Geschlecht im Leitungsteam schon beim ersten Treffen.

Künstler_innen mit Migrationshintergrund – zum Glück gibt es sie, auch in Leipzig. Oder? Künstlerisch sollte es natürlich auch passen, denn nochmal: Es ging auf dieser Ebene darum, gemeinsam zu konzipieren. Nur weil wir eine diverse Gruppe sein wollen, muss unser Ansatz einen syrischen Tänzer noch lange nicht interessieren. Oder? Mit einer amerikanischen Kollegin wuchs das Konzeptionsteam schließlich nach der Bewilligung des Antrags auf 6 Personen an. Eine Frau aus einem westlich geprägten Kulturkreis. Ist das divers? Ja und nein. Ist das schnuppe? Vielleicht…

In diesem Team verwalten wir nun also Geld, organisieren und konzipieren. Darum herum entwickelt sich eine immer größere Gruppe, Männer, Frauen, verschiedene Kulturen und Geschichten. Am Anfang haben wir eingeladen, einmal im Monat, um Menschen zu finden, die mitmachen wollen – inzwischen hat dieser Teil des Projekts ein Eigenleben entwickelt. Hier denkt kaum jemand an künstlerische Endergebnisse. Hier wohnt der Spaß. Ist das Gemeinschaft: Der lenkende inner circle und die lockere Gruppe?

Gemeinsam, nicht gleich sein.

Die Menschen, die wir hier über Spiele und Kochabende ans Projekt binden, werden im Sommer teilweise mit uns in einer mobilen Architektur im öffentlichen Raum auftreten.

Wir werden Passanten zuhören und selbst erzählen. Wir werden Räume so gestalten, dass Menschen verweilen oder schnell wieder gehen werden. Wir werden Gemeinschaft spüren und spürbar machen. Und dabei werden wir unterschiedliche Funktionen erfüllen. Wir werden nicht gleich sein. Ist das genug?

Nicht nur Kunst über Gemeinschaft zu machen, sondern diese auch noch aktiv und anspruchsvoll zu gestalten fühlt sich an, wie eine eMail in Schönschrift abzumalen: Mühsam, künstlich, erstaunlich. Doch es ist uns ernst. Nicht, weil wir tolle gute Menschen sind, sondern weil das unser Thema ist. Und deshalb höre ich jetzt auch auf, allein von diesem Projekt zu berichten.

Wir wagen Gemeinschaft! Das ist unser Untertitel. Ich wage deshalb Vielstimmigkeit: Über dieses Projekt berichte ich in Zukunft mit Interviews.

Künstlerische Leitung & Organisation (Bauleitung): Johanna Dieme, Franziska Furcht, Jamie Grasse, Solveig Hoffmann, Laura Kröner, Katharina Wessel

Mitwirkende: Wael Alhamed, Alfred Fayad, Louise Wonneberger + X

Produktionsleitung: Blühende Landschaften

Eine Projekt von interaction Leipzig e.V./ gefördert im Fonds Neue Länder der Kulturstiftung des Bundes

Wie läuft es eigentlich… im Bienenland?

Traurig, manchmal sogar problematisch an der Projektarbeit ist oft der enge zeitliche Rahmen, in dem alles passiert und vobeigeht. Und dann gibt es sie manchmal aber eben doch: Die Dauerbrenner. Projekte, die sich immer wieder verändern, neu erfinden, unter erheblichem Aufwand irgendwie weitergehen. Von diesen Projekten gebe ich ab sofort dann und wann ein Update, um die Arbeit sichtbar zu machen, die darin steckt, um das Projekt für mich und euch zu rekapitulieren, manchmal auch, um mich einfach daran zu erfreuen. Als erstes: das Bienenland.

Warum heißt es eigentlich „Bienenland“? Wir sind keine Bienen! Wir haben kein Land! Warum Bienenland?

Diese mit Vehemenz gestellte Frage (Aussage! Kampfschrei! was auch immer) ist in den letzten Wochen aufgekommen. Möglicherweise steht unser kleiner mobiler Staat vor einer neuen Transformation?
Vor zwei Jahren wäre das undenkbar gewesen: Im Februar 2015 gründeten wir mit viel Pomp und der Nationalhymne Coco Jambo unseren eigenen Staat mit ganz eigenen Gesetzen, Bräuchen und Prioritäten. Alles was geschah, geschah in Abstimmung aller Bienenbürger_innen: geflüchtete und nicht geflüchtete Kinder und auch immer wieder Erwachsene. Die Erfahrungen rund um Armut, Traumata und Alltagsrassismus rund um dieses Projekt haben mich sehr geprägt.

Das ursprünglich als Recherchephase angelegte Leben im selbst gegründeten Staat erwies sich als außerordentlich fruchtbar – wie schwierig es ist, das Zusammenleben von Menschen zu organisieren, und welche Bedürfnisse es dabei zu befriedigen gilt! Zugleich blieb es eine Herausforderung, in der Gruppe überhaupt irgendetwas zielorientiert anzugehen. Die Förderung über tanz+theater machen stark sah als dritte Phase eine Inszenierung vor, die wir Erwachsenen gern gemacht hätten: So spannend fanden wir die Forschungsergebnisse, so wichtig die Aufmerksamkeit für die Bienenbürger_innen. Und doch gab es da auch die realistische Sorge: Wie vereinbaren wir die Bedürfnisse der Gruppe mit den Anforderungen an Struktur und Disziplin, die mit der Theaterarbeit einhergehen würden? Oder besser: Würden die Kinder Bock auf Theater haben? Alle Ideen, die uns erfolgversprechend erschienen, wären für ein derartiges Projekt ungewöhnlich, schwer förderfähig gewesen. Vermutlich (so denke ich jetzt) war dieses Dilemma im Antrag spürbar. Er wurde nicht bewilligt.

keine finanzierung, zig kinder

Und so gab es keine Finanzierung mehr, wohl aber zig Kinder, die uns jeden Dienstag entgegen rannten und eine Arbeit, die uns wirklich sinnvoll vorkam. Wir suchten ehrenamtliche Helfer_innen. Ich verschwand nach Krankheit und Geburt in die Elternzeit. Und mag mir kaum vorstellen, wie viel Kraft es meine Kolleginnen gekostet haben mag, das Fortbestehen des wöchentlichen Angebots „Bienenland“ zu gewährleisten.

Heute sind wir nicht mehr zwei, sondern vier Kulturpädagoginnen und eine Medizinerin, die die konzeptionellen Fäden ziehen. Wir betreuen um die zehn Freiwillige, unterstützen bei der Umsetzung eigener Ideen und versuchen darauf zu achten, dass nicht nur die Kinder, sondern auch die Erwachsenen Gelegenheit haben, sich weiterzuentwickeln. Auch an Rückendeckung in schwierigen Situationen soll es nicht fehlen; bei jedem Dienstagstermin ist eine von uns dabei. Wir bemühen uns um Kontakte in die Kulturinstitutionen der Stadt, an Orte, die den Kindern gefallen könnten. Und natürlich entwickeln wir auch immer wieder Projekte, die für „unsere“ Gruppe interessant sind, beantragen Gelder und summen so ein Stückchen weiter auf unserem Weg.

Inhaltlich arbeiten wir eng an den Wünschen der Gruppe entlang – wir sind Möglichmacher_innen. Dieser Geist des Ursprungsprojekts ist geblieben – wenn du etwas willst, dann nehmen wir dich beim Wort. Ein Märchenschloss? Wir bauen es nicht, aber wir geben wir Holz und Hammer. Neue Regeln? Wenn es dir gelingt, die anderen Gruppenmitglieder zu überzeugen, können wir unsere Regeln ändern. Nicht mehr Bienenland heißen? Wir werden sehen, was hier noch geschieht… Wir unterstützen die Kinder bei ihren Projekten, genauso aber auch die Freiwilligen, beraten wo nötig und freuen uns über alle Erfahrungen.

unfinanziert und doch so nachhaltig

Und so läuft das Bienenland eben weiter. Im Kernbereich unfinanziert und dennoch so nachhaltig. Wenn ich mir etwas für die Zukunft unseres kleinen Lands wünschen dürfte, dann wäre das Planungssicherheit. Und viele neue Freiwillige. Habt ihr Lust? Dann macht mit!

Harte Fakten: Das Orga-Team besteht aus Katharina Wessel, Bettina Salzhuber, Johanna Dieme, Klara Pegels, Solveig Hoffmann. Räumlich und zeitlich verortet ist das Bienenland am Dienstagnachmittag in den Atelierräumen von Hildes Enkel.