Der „Ich bin eine Biene – Schock“

Ich bin nicht so „pädagogisch pädagogisch“. Ich finde es nicht schlimm, wenn Kinder mal ihr Handy in der Hand haben, und die meisten Schimpfwörter sage ich vor ihnen. Und ganz sicher ist youtube kein Weltuntergang. Anders als manche (immer seltenere) Kollegen, denke bzw. weiß ich, dass draußen spielen und Playstation zocken sich nicht ausschließen müssen. Und ich halte auch nichts von „früher war alles besser“ – jede Generation ist für irgendjemanden die verlorene Generation. Wenn mir also jemand erzählt, dass die Kinder heutzutage alle von Pornografie beeinflusst sind, dann denke ich erstmal „jaja, mal gucken, was mir die Kinder selbst erzählen“.

Der „Ich bin eine Biene-Schock“ hatte einen langen Vorlauf. Im Projekt „Wo die wilden Bienen wohnen“ arbeiten wir insbesondere in der Schule mit Kindern der Klassenstufen 5/6, und wir bekamen schnell mit, dass viele Bienen witzig fanden. Immer wieder fiel der Satz „Ich bin eine Biene!“, gefolgt von viel Gekicher. Irgendwann nach 8 Monaten dann auch mal gefolgt von „Du wirst gefickt!“

Naja, schräg, dachte ich, erzählte es einer Bekannten, die lachte und verwies auf youtube. Ich klickte, schaute und war geschockt.

Vielleicht ist das ja schon durch, und alle außer mir haben sich schonmal aufgeregt. In dem Video sieht man eine Biene, die eine Blume „bestäubt“, und zwar gegen den Willen der Blume. In der Schlusssequenz sieht man die Blume unter der Dusche, die sich ausgiebig duscht und weint. Sie fragt: „Warum hilft mir denn keiner?“ Das ganze schön kurz und als Zeichentrick, perfekt für 12-jährige, die im Wesentlichen das Wort „gefickt“ hören, und das als Gruppe superlustig finden.

Ich verlinke hier, nur falls sich jemand selbst ein Bild machen möchte.

Das ist eine so plumpe Anspielung auf Opfer sexueller Gewalt, dass ich beim besten Willen keine künstlerische Intention erkennen kann.

Natürlich habe ich das Video gemeldet, aber das ist ja nur die erste Reaktion, und viel passiert da nicht. Bei über 6.000.000 Likes bin ich da vermutlich nicht die erste.
Ich habe auch versucht, mit den Kindern darüber zu reden, aber es ist sehr schwer, nicht als die zensierende Erwachsene, die Spielverderberin wahrgenommen zu werden. Letztendlich gibt man da vielleicht eine kleine Anregung. Aber wieviele ähnliche Videos sind noch in Umlauf?

Ich will auf youtube nicht nur pädagogisch wertvolle, keimfreie Videos. Von mir aus können auch zig Zeichentrickfiguren zum Vergnügen der 12-Jährigen „ficken“ rufen. Aber dieses Video macht mich krank. Vielleicht melden ja noch ein paar Leute. Kann man machen.

Schwarzweiß – Über den „Normalzustand“ in Sachsen

Die folgenden Zitate enthalten rassistische/beleidigende Begriffe. Ich gebe diese so wieder, wie ich sie gehört habe, um die Situationen präzise beschreiben zu können. Die konkreten Situationen verkürze und verändere ich in Bezug auf alles, was die beteiligten Personen betrifft.

3 Erlebnisse aus dem Leipziger Land

1. Ein Kind erzählt mir von einem Kostümfest, an dem es teilgenommen habe. Ich frage, als was sich seine Gruppe verkleidet habe. Der Junge antwortet arglos: „Als Neger.“ Sie hätten sich schwarz angemalt und Früchte umgehängt.

2. Mit einer anderen Kindergruppe mache ich eine „Umfrage“ im Ort. Wir befragen die Verkäuferinnen beim Bäcker und im Schreibwarenladen. Als wir wieder draußen stehen kräht ein Kind: „Solveig, können wir noch zum Negerfidschi?“

3. Eine Schule erhält den Titel „Schule ohne Rassismus. Schule mit Courage“. SchülerInnen wie LehrerInnen haben sich viel Mühe gegeben. Allerdings sind alle Menschen an dieser Schule weiß – keine Besonderheit in Sachsen. Deshalb wurden extra Gäste eingeladen: Einige Jugendliche mit dunkler Hautfarbe stehen mit auf dem Schulhof. Offensichtlich kennen sie niemanden persönlich, bleiben unter sich.

Es ist leicht, als arrogante Städterin über Alltagsrassismus zu belehren und zurück nach Leipzig zu fahren. Sachsen hat ein Rassismus-Problem, das ist auch im Kontext der aktuellen Geschehnisse in Freital und Meißen nicht zu übersehen. Die obigen Beispiele sind anders gelagert, zeigen das aber ebenfalls sehr gut. Aber wie sinnvoll mit solchen Situationen umgehen? Wie kann ich abends Texte über critical whiteness lesen, und dann am nächsten Morgen an einer komplett „weißen Schule“ über Rassismus sprechen?

So richtig einfach ist das nicht, das merke ich schon allein daran, wie oft ich diesen Text überarbeite – selbst nach der Veröffentlichung. Aber wie habe ich denn reagiert, spontan im jeweiligen Moment?

1. Situation – ich war geschockt, zugleich war für mich offensichtlich, dass dem Jungen überhaupt nicht klar war, was er da äußerte und in welcher Tradition das stand. Zum Glück hatten wir Zeit. Ich habe also in aller Ruhe erklärt. Das Kind wird sich zumindest erinnern.

2. Situation – hier sah es anders aus: Ich wurde laut und stellte klar, dass ich sowas nie wieder hören wolle. Die Reaktion des Kindes sagt mir, dass im Prinzip schon klar war, dass „man das nicht sagt“. Aber auch, dass es wieder gesagt werden wird, wenn auch nicht in meiner Anwesenheit. Also habe ich nicht viel erreicht.

3. Situation – ich habe lediglich beobachtet. Ich bin nicht stolz darauf, aber ich habe tatsächlich immernoch keine Idee, was ich in der konkreten Situation sonst hätte tun können. Einen Weg mit den Jugendlichen ins Gespräch zu kommen und gleichzeitig meine Arbeit zu machen habe ich nicht gesehen. Und ob das eine Lösung gewesen wäre, weiß ich auch nicht.

Sicherlich sind die drei Situation strukturell verschieden. Aber für mich zeigt die wohlmeinende Hilflosigkeit der Schule, die alles mit bester Absicht tut und sich immerhin überhaupt engagiert (und das ist in Sachsen so wichtig!!!), dass es ein ganz offensichtliches Problem gibt: Die echte persönliche Erfahrung fehlt. Weiß sein ist in der sächsischen ländlichen Umgebung oft der faktische Normalzustand.

Natürlich können LehrerInnen dann über Toleranz sprechen. Aber so lange diese LehrerInnen selbst noch nicht die Erfahrung gemacht haben, dass „schwarz“ nicht gleich „Ausländer“ ist, dass verschiedene Kulturen natürlich Kompromisse auf beiden Seiten erfordern und es trotzdem an 1., 2. und 3. Stelle immer nur um Empathie geht – so lange bleibt auch ihr Reden eher unauthentisch und abstrakt.

Da bleibt nur: Einmal mehr Diversity nach Sachsen, bitte. Am besten doppelt so viele refugees wie bisher, und natürlich gute Fachkräfte um den endlich, ENDLICH einsetzenden Prozess zu moderieren. Damit Erfahrungen gemacht und verarbeitet werden können. Damit viele Dinge, die in Sachsen passiert sind (Freital, Meißen, Zwickau, Hoyerswerda, Dresden, Leipzig, Mügeln und und und) nie wieder passieren.

Damit ich nie wieder erklären muss, warum man bestimmte eingangs zitierte Wörter nicht benutzt.

refugees sprechen für sich selbst!

Die GfZK war am Wochenende eingeladen, das Projekt „kennen.lernen“ beim Festival „INTERVENTIONEN – refugees in art and education“ vorzustellen, und so konnte auch ich mitfahren und ein wenig von anderen Kulturprojekten mit Geflüchteten erfahren. Oder besser: Von Kulturprojekten von Geflüchteten.
Denn was ich gesehen und sehr genossen habe, waren eine ganze Reihe von Gruppen von refugees, die für sich selbst gesprochen haben, die ihre eigenen Themen setzten und sich ganz bewusst selbst organisierten. Sehr präsent ist mir dabei die Präsentation des Refugee-Club-Impulse geblieben:

„Sie wollen den refugees immer eine Stimme geben, aber wir haben schon eine Stimme. Die hört nur keiner.“ (aus dem Gedächtnis zitiert)

Eine absolut berechtigte Kritik, die es wirklich in sich hat: Jemandem eine Stimme zu geben, setzt voraus, dass diese/r keine Stimme habe und birgt die Möglichkeit, sie ihm/ihr auch wieder zu nehmen. Was legitimiert KünstlerInnen und PädagogInnen, diese Position einzunehmen?

Und gleichzeitig: Ist es nicht die Verantwortung von KünstlerInnen und PädagogInnen, die Möglichkeit zu schaffen, gehört zu werden? Ist es nicht unsere Aufgabe, gewissermaßen als gesellschaftliches Korrektiv, Räume des Zuhörens zu eröffnen?

Und wo bleibt dabei mein eigenes Erleben? Kann ich mich überhaupt so weit zurücknehmen?

Das alles ist ein schmaler Grat. Den von einer Gruppe selbstbewusster Menschen vor die Füße geknallt zu bekommen, war super. Man verliert sich mit seinem deutschen Pass dann doch schnell im Dschungel der Lokalpolitik, der Unterbringungskonzepte und Wohnungssuchen. Man fühlt sich schnell als sehr guter Mensch, weil man sich damit befasst. Und dann sitzt da diese Gruppe und macht kurzen Prozess: Wir reden selbst. Wir wollen gehört werden. Es geht nicht um Kleinkram – es geht um Menschenrechte. Punkt.

 

 

Leipziger Osten: Über Initiativen, Schlägereien und internationale Kontakte

Seit ca. 2 Jahren bin ich öfter mal im Leipziger Osten.
Ich gehe über die Eisenbahnstraße, esse vorzüglichen Döner, beobachte die Menschen, die so anders sind, als in den Hipsterghettos, in denen all meine Freunde und ich wohnen. Und manchmal muss ich lachen – vor allem wenn ich an den ProSieben-Bericht zur „schlimmsten Straße Deutschlands“ denke. Obwohl ich mich sehr über den latenten Rassismus, die mangelhafte Recherche und überhaupt alle Aspekte des Filmchens geärgert habe.

Vor einiger Zeit habe ich mir dort auch eine Wohnung angesehen. Ein Erlebnis der besonderen Art war der Makler, der nicht müde wurde mir zu erklären, dass „in Kreuzberg vor 10 Jahren auch noch keiner hätte wohnen wollen“, dass hier gerade „alle Wohnungen gemacht würden“, und dass „Ausländer völlig normale Leute“ wären. Auf meine Anmerkung, ich hätte ein größeres Problem damit, unter Rassisten zu wohnen, reagierte er nicht. Die Wohnung steht bis heute leer.

Wie ich aus der Ferne (Südvorstadt) mitbekam, ging es dann am letzten Wochenende mal wieder ordentlich ab auf der Eisenbahnstraße. Massenschlägerei mit 40-50 Personen, Eifersuchtsdrama, Verletzte. Die Bild-Zeitung berichtete gern.

Was dabei oft zu kurz kommt: Der Leipziger Osten hat in erster Linie ein Problem, und das heißt Armut. Rund um die Eisenbahnstraße leben über 55 % der Kinder von Sozialgeld.

Das bedeutet natürlich auch günstige Mieten und viel Raum für Ideen – anders als im Süden und Westen gibt es hier noch leer stehende Häuser, Kinder, die nicht Geige spielen können, kurz: große Gestaltungsspielräume. Im Projekt „Wo die wilden Bienen wohnen“ genießen wir das sehr.

Und genau dieses Projekt durfte ich am letzten Mittwoch vorstellen: Im Arbeitskreis Ost. Hier treffen sich die Akteure, die den Leipziger Osten gestalten wollen, also soziale und kulturelle Träger, Stadtteilvereine, Initiativen etc. Und das sind ganz schön viele! Tatsächlich war es hochinteressant zu sehen, wer sich alles engagiert. Und auch ein bisschen schade, dass etwa die Moschee nicht vertreten war.

Meine Mission an diesem Tag: Für die zweite Projektrunde des „Bienenlands“ suchte ich andere Staaten, also organisierte Einheiten, die mit dem Bienenland internationale Kontakte pflegen wollen. Das können übrigens auch „Staaten“ sein, die auf diesen Artikel gestoßen sind und mehr über das Bienenland erfahren wollen. (Wir können gemeinsam überlegen, wie das aussehen könnte.)

Bei der Projektvorstellung wurde viel gelacht, es herrschte auch ein wenig Verwirrung. Wann sind wir ein „Staat“? Im Anschluss an das Treffen kam ich mit ganz unterschiedlichen Personen ins Gespräch, gemeinsam entstanden erste Ideen, man war offen für das Gedankenspiel. Ich denke, es ist genau diese Atmosphäre, die Kreative in den Osten lockt. Es macht Spaß, gestalten zu können.

Ist das die Eisenbahnstraße, die mit Drogen, Schlägereien und Gewalt Presse macht? Oder die Eisenbahnstraße mit dem „hohen Ausländeranteil“? Oder ist es doch längst eine Spielwiese für deutsche Engagierte, die Spielräume brauchen?

Es wird eine Herausforderung bleiben, diese Facetten unter einen Hut zu kriegen. Es zu schaffen, dass die organisierten „GestalterInnen“ nicht alle weiß sind. Dass von Armut betroffene, wenig gebildete Menschen nicht einfach irgendwann verdrängt werden. Dass Bild und ProSieben das Interesse verlieren. Dass Engagement gemeinsam erfolgt. Und die Makler das dann nicht zu schnell verkaufen.

In diesem Sinne: Besucht uns im Bienenland! Wir versuchen miteinander zu sprechen: Auf kurdisch, arabisch, deutsch, serbisch… was immer ihr wollt. Im Juni geht es weiter. Bis bald!

„Wo die wilden Bienen wohnen II“ im Rahmen des Programms tanz + theater machen stark des Bundesverbands Freier Theater e.V.

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Bündnisse für Bildung – Verbesserungsvorschläge

„Kultur macht stark – Bündnisse für Bildung“ – mit diesem Programm fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung über verschiedene Zwischenschritte Kooperationen, die benachteiligte Kinder und Jugendliche über kulturelle Bildung stärken. Das Programm ist mit 230 Millionen € über 5 Jahre ein wichtiges Förderprogramm – mehr dazu auf der  Seite des Ministeriums.

Demzufolge habe ich inzwischen auch schon in Projekten des Programms gearbeitet, bzw. sogar selbst (zusammen mit Katharina Wessel) ein Projekt entwickelt: „Wo die wilden Bienen wohnen“. Die Durchführung war und ist schwierig, manche Eckpunkte erscheinen mir nicht sinnvoll. Deshalb hier meine Verbesserungsvorschläge direkt aus der Doppelperspektive Projektleitung – Künstlerin/ Honorarkraft.

1. Wenn künstlerisches Denken und Handeln benachteiligte Menschen fördert, dann muss im Mittelpunkt eines Projekts in diesem Programm auch die Entwicklung eines guten künstlerischen Konzepts stehen. Damit einher geht dann auch die Aufwertung der KünstlerInnen, die im Projekt mitarbeiten. Derzeit bleibt ihnen zumindest offiziell nur die Rolle der „Honorarkräfte“. ABER: Keine Kunst ohne Künstler. Die Konzeptentwicklung muss gefördert und bezahlt werden.

2. Dasselbe gilt für das Bündnis. Es ist nicht so, dass MitarbeiterInnen aus Institutionen der Bildung und Kultur unausgelastet ihren Schreibtisch polieren. Wenn es vor dem Programm noch nicht genügend Kooperationen gab, dann braucht es eben nicht nur Projektgelder (für Honorarkräfte, Material, die Umsetzung der konkreten Idee), sondern auch Geld und Formate, um tragfähige Bündnisse zu schmieden. Wie kann wer wo gut zusammenarbeiten? Und zu welchem Zweck? Das erfahren wir nicht durch Projektgelder.

3. Die KünstlerInnen sind Honorarkräfte. Die Institutionen bilden ein Bündnis, bündeln ihre Mittel und Kompetenzen. Aber wer kümmert sich ums Geld? Laut Förderer ist dafür der beantragende Kooperationspartner zuständig. Doch die wenigsten Institutionen sind so gut ausgestattet, dass sie hier wirklich mit den KünstlerInnen zusammenarbeiten können. Ein prozessorientiertes Arbeiten, dass sich am künstlerischen Konzept orientiert, braucht enge Absprachen. Wann setzt sich endlich die Idee einer professionellen Produktionsleitung auch für Kunst mit Kindern und Jugendlichen durch?

In der „Erwachsenenkunst“ ist das längst anerkannt: Produktionsbüros wie ehrliche arbeit betreuen KünstlerInnen bei der Umsetzung der Projekte und bilden einen maßgeblichen Erfolgsfaktor. Im Programm „Doppelpass“ der Bundeskulturstiftung ist die professionelle Produktionsleitung inzwischen Voraussetzung für die Förderung. Auch hier geht es um Kooperationen, allerdings von festen Institutionen mit freien Künstlergruppen. Fakt ist: Wenn wir alle 3 Förderphasen mit unseren wilden Bienen durchlaufen haben, werden wir um die 40.000 € aus Steuergeldern ausgegeben haben. In der „Erwachsenenkunst“ würde das m.E. niemand mehr ohne Produktionsleitung händeln wollen.

4. Wir haben uns nun mit allen verwaltungstechnischen Details abgefunden, trotz guter Honorare unbezahlte Überstunden angehäuft, und dann… kommt die Ernüchterung: Die kommen nicht!

Erreicht werden sollen benachteiligte Kinder und Jugendliche im außerschulischen Bereich. Und die kommen oft einfach nicht.

Wenn man mit wirklich benachteiligten Menschen arbeitet, dann lernt man schnell: Das funktioniert nur über Beziehungsarbeit. Hier geht es um Menschen, die mit Institutionen schlechte Erfahrungen gemacht haben, die strukturiertes Arbeiten zum eigenen Vergnügen nicht kennen, denen Schriftlichkeit, Regeln und Formulare manchmal Angst machen. Die oftmals wenig Grund haben, zu vertrauen. Sich auf einer TeilnehmerInnen-Liste einzutragen kann eine schwere Entscheidung sein. Oder, wie im Bienenprojekt: Man möchte schon, aber man kann seinen Nachnamen „nur“ auf arabisch schreiben. Die Beziehungsarbeit, die benachteiligte Menschen in Projekte holt, wird von Honorarkräften geleistet, und sie muss endlich anerkannt werden. Wir besuchen die Menschen im Asylbewerberheim auch mal außer der Reihe. Helfen beim Umzug. Werden zum Essen eingeladen. Das kann man nicht unbedingt in einer Honorarabrechnung abbilden und bezahlen. Aber man kann verstehen, dass es Zeit braucht, und es nicht ab der 3. Projektwoche eine lange TeilnehmerInnen-Liste gibt. Starre Regeln sind genau das, womit benachteiligte Menschen schlechte Erfahrungen haben. Ein Programm zu entwickeln, dass der Zielgruppe hier entgegen kommt, wäre eine beachtliche Leistung und ein toller Fortschritt.

Das sind meine Vorschläge. Wer wird das hier lesen?

Das Bundesministerium spricht mit Verbänden. Die verteilen das Geld weiter an Institutionen. Ich bin letztendlich und auf dem Papier Honorarkraft. Auch als offizielle Projektleitung. Auf Tipps, wie ich mich über dieses Blog hinaus äußern könnte, freue ich mich sehr.

 

 

 

#buendnissefuerbuerokratie #kooperierenmachtspass #verwaltungsgesellschaft

Dieser Text wurde von meiner super Kollegin Katharina Wessel begonnen und von mir weitergeführt. Es handelt sich um das Protokoll eines Vorgangs: Wir brauchten 5 Unterschriften von 4 Projektpartnern. Und so haben wir sie bekommen:

Mitte Februar
Mitteilung des Förderers, dass Kooperationsvereinbarung bis Ende Februar eingereicht werden sollte.

Etwas später
S. schickt Email an alle Bündnispartner, dass Kooperationsvereinbarung bis Ende Februar unterschrieben werden muss. Im Anhang befindet sich die Kooperationsvereinbarung.
Anmerkung: Bei jedem Bündnispartner gibt es einen Ansprechpartner fürs Projekt, der ist aber nicht in jedem Fall zeichnungsberechtigt.

Anfang März
S. hat Termin mit neuem Bündnispartner E. Bündnispartner E möchte aus rechtlichen Bedenken etwas in der Kooperationsvereinbarung ändern. S. ändert die Kooperationsvereinbarung.

Anfang März
S. hat einen Termin mit zeichnungsberechtigter Person 1 des Bündnispartners B. Sie besucht Person 1 in deren Privatwohnung. Zeichnungsberechtigte Person 1 unterschreibt die Vereinbarung.
S. hat einen Termin mit zeichnungsberechtigter Person 2 des Bündnispartners B. Sie besucht Person 2 an deren Arbeitsplatz. Zeichnungsberechtigte Person 2 unterschreibt die Vereinbarung.

Anfang März
S. und K. haben einen Termin mit Ansprechpartner des Bündnispartner Q (nicht zeichnungsberechtigt), um vorangegangenes Projekt auszuwerten. Nach dem Gespräch treffen sie zufällig zeichnungsberechtigte Person des Bündnispartners Q auf dem Flur, die Kooperationsvereinbarung in der Tasche. Der hat aber gerade keine Zeit und wünscht, dass ein Termin mit der Sekretärin ausgemacht werde. S. und K. sagen, dass sie Vereinbarung im Sekretariat abgeben werden, wenn Bündnispartner E unterschrieben hat. Einen Termin zu den inhaltlichen Fragen hat es ja gerade mit der Mitarbeiterin der zeichnungsberechtigten Person gegeben.

Anfang/Mitte März
S. versucht Termin mit Bündnispartner X auszumachen, um Kooperationsvereinbarung zu unterschreiben. Zeichnungsberechtigte Person ist in zweitem Büro arbeiten/außer Haus.

Zugleich versucht S. mit einer verantwortlichen Person bei Bündnispartner E zu sprechen. Schließlich gelingt es einen Termin auszumachen: S. wird Freitagmorgens gegen 8 Uhr auf dem Weg zu einem Termin außerhalb Leipzigs bei Bündnispartner E vorbeifahren.

Fast zeitgleich meldet sich Bündnispartner X – eine Unterschrift kann in der darauffolgenden Woche voraussichtlich bis Mittwoch erfolgen. Es ist Donnerstag.

Freitagmorgen. S. trifft zeichnungsberechtigte Person bei Bündnispartner E. Dieser findet das Projekt gut, lehnt es aber ab, den Vertrag ohne gemeinsame Rücksprache mit den MitarbeiterInnen zu unterzeichnen. Der Termin wird auf den Nachmittag verlegt.

Freitagnachmittag. S. trifft zeichnungsberechtigte Person des Bündnispartners E zum zweiten Mal. Man geht in das Büro der MitarbeiterInnen des Bündnispartners E. Diese unterbrechen ihre Arbeit. Nach einem 15minütigen Gespräch wird die Kooperationsvereinbarung unterzeichnet.

Auf dem Heimweg hinterlässt S. Mappe mit Kooperationsvereinbarung bei Bündnispartner X, mit Bitte um Rückruf, wenn die Unterschrift erfolgt ist.
Ende März
S. ruft Bündnispartner X an. Die Unterschrift ist erfolgt.
K. holt unterschriebene Kooperationsvereinbarung bei Bündnispartner X ab und bringt sie zu Bündnispartner Q. Sie hinterlässt Mappe im Sekretariat, da zeichnungsberechtigte Person erst 1 Woche später wieder vor Ort.

31.3.15
K. erhält Anruf von zeichnungsberechtigter Person des Bündnispartners Q. So könne Kooperationsvereinbarung nicht unterschrieben werden. Sie einigen sich auf handschriftliche Änderung des betroffenen Absatzes. Außerdem sei Sekretärin des Bündnispartners Q krank und zeichnungsberechtigte Person erst wieder ab dem 13.4. erreichbar. K. könne entweder am nächsten Tag zwischen 7 und 8 Uhr vorbeikommen, das Sekretariat sei evtl. besetzt – oder ab dem 13.4.

15.4.15
S. fährt zu Bündnispartner Q und holt die Kooperationsvereinbarungen im Sekretariat ab.
Sie schickt ein Exemplar an den Förderer und schreibt zusätzlich eine Mail, in der sie sich für die grobe Verspätung entschuldigt.

22.4.15, 19:57 Uhr
S. verlängert das von K. begonnene Protokoll um eine weitere halbe Seite.

Inzwischen ist die Nachricht eingetroffen, dass das Projekt gefördert wurde.
Wir freuen uns wirklich.

Sehen!

Muss Kunst immer absichtsvoll entstehen? Ich glaube nicht.

Vielleicht entsteht sie vielmehr dadurch, dass sie wahrgenommen wird… Und das, was ich auf dem Weg ins Asylbewerberheim regelmäßig an diesem bestimmten Abschnitt der Torgauer Straße wahrnehme, bereitet mir große Freude, hat manchmal Witz und manchmal nicht, bringt ungewollt gesellschaftliche Wahrheiten auf den Punkt… und war mit Sicherheit keine Absicht.

Muss es Kunst sein? Sicher nicht. Aber mich beschleicht doch regelmäßig das Gefühl, dass der Zufall eine Kategorie ist, die der Kunst ganz gut steht.

Oder anders gesagt: Ich lache mich kaputt und bin froh, dass es dem Plakatmenschen egal ist, was sich der Werbefuzzi mal gedacht hat. Auch irgendwie ein Resultat der Verwaltungsgesellschaft.

Wird weiter ergänzt.

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Theater und Schule – Teil I (von sehr vielen Teilen)

Ich habe mal Erziehungswissenschaften studiert. Nicht, weil ich erziehen will, sondern weil ich erziehen so interessant finde: An der Erziehung kann man beobachten, wie sich die Menschen selbst gern hätten. Und wie sie daran scheitern. Spannend.

Nun ist es mitnichten so, dass ich dazu in der Lage wäre, mich völlig aus diesen Prozessen auszuhalten – ganz im Gegenteil, ich arbeite immer wieder mit Kindern und Jugendlichen, und teilweise definiere ich diese Arbeit auch als eine pädagogische Arbeit.

Der Unterschied liegt oftmals bei den Kindern selbst: Möchten sie als Partner in einem künstlerischen Prozess mit mir arbeiten? Leider sind viele Kinder und Jugendliche dazu in den jeweiligen Settings nicht in der Lage, möchten einfach nur ein Minimum erledigen, besser in Mathe werden, eben alles richtig machen. Wenn dem so ist, dann steht „Theaterpädagogik“ in der Überschrift – und was passiert ist ein pädagogischer Prozess mit kleinen Störfällen. Und wenn ich ehrlich bin, ist mehr von den leitenden Stellen auch oft nicht gewollt.

Dabei finde ich es wichtig zu stören! SchülerInnen in Sachsen erlebe ich häufig als angepasst, überarbeitet und visionsfrei. Das ist pauschal verallgemeinert – und dennoch frage ich mich, wer denn bereit ist, Systemkritik zu üben, wenn noch nicht mal die 1 mal wöchentlich angeheuerte Theaterpädagogin das schafft. Traurig.

Ich wünsche mir, dass Kinder und Jugendliche in Schulen dazu in der Lage sind, sich als künstlerisch arbeitende Menschen zu begreifen. Dass sie die Chance wahrnehmen können, ihre eigenen   Irritationen, Störfälle, und Visionen zu bearbeiten. Und dass so lange ein erziehungsfreier Raum respektiert wird.

Über die Rahmenbedingungen dafür wird noch lange zu streiten sein.
Und vielleicht gilt es auch, Konzepte zu entwickeln, die an anderen Orten Kinder und Jugendliche erreichen.

Wo bin ich?

Zur Zeit verbringe ich viel Zeit in…  Ja wo eigentlich? Ich beschreibe mal die Menschen an dem Ort und bin gespannt, wie schnell die richtige Antwort bei mir eintrudelt.

Also, hier die Liste von Dingen, die mir an diesem Ort auffallen:

1. Die Menschen bewegen sich meistens in Gruppen von mindestens 25 Personen, selbst wenn sie sich gegenseitig gar nicht leiden können.
2. Die Menschen müssen sich gegenseitig um Erlaubnis bitten, bevor sie eine Toilette benutzen. Die Erlaubnis wird überwiegend verweigert.
3. Die Menschen bewahren das Klopapier selten in der Nähe des Klos auf. Vielmehr wird es im Vorraum der Toilette zur Verfügung gestellt. Fremde tappen hier anfangs häufig in eine unangenehme Falle.
4. Es gibt bestimmte trendig topics: Zahlen im einstelligen Bereich, psychiatrisch-neurologische Krankheitsbilder, Einhörner, Geschlechtsorgane, WhatsApp, GTA u.Ä.
5. Die Menschen bewerten sich gegenseitig, wechselseitig und permanent. Die Bewertung scheint eine Art Währung zu sein.
6. Das am häufigsten ausgesprochene Wort ist mutmaßlich „Ruhe“.
7. Das häufige Aussprechen des Wortes „Ruhe“ sichert diese nicht zuverlässig.