Unser kulturelles Erbe – WTF

Die Menschen, die so fleißig über Winnetou und ähnliche Fragen diskutieren, argumentieren häufig ungefähr so: „Dieses Buch gehört zu unserem kulturellen Erbe, ich habe es als Kind geliebt und möchte dieses wohlige Gefühl an meine Kinder weitergeben, das lasse ich mir nicht kaputt machen.“ Allerdings besteht ein relevanter Anteil unseres kulturellen Erbes aus diskriminierendem Schrott. Das ist nicht ungewöhnlich, aber dabei stehenbleiben sollten wir nicht.

Ich muss nochmal was nachschieben. Letzte Woche habe ich hier über Diskriminierung und Kunstfreiheit geschrieben, am Beispiel von Winnetou, Layla und der Documenta15. Ich will nicht alles nochmal wiederholen, deshalb in aller Kürze:

Kunst ist nicht dazu da, ein politisch korrektes Programm zu bebildern, und sei es noch so ehrenwert.

Umgekehrt kann es aber auch nicht Sinn der Sache sein, gesellschaftliche Debatten in der kreativen Arbeit außen vor zu lassen. Dann entsteht wahrscheinlich – so meine These – schlechte Kunst.

Dieses Buch gehört zu unserem kulturellen Erbe.

Die Menschen, die so fleißig über Winnetou und ähnliche Fragen diskutieren, argumentieren nun allerdings häufig noch ein wenig anders: „Dieses Buch (oder was auch immer) gehört zu unserem kulturellen Erbe, ich habe es als Kind geliebt und möchte dieses wohlige Gefühl an meine Kinder weitergeben, das lasse ich mir nicht kaputt machen.“ Da deutet sich am Ende schon die Agression an, und der Freigeist der Nation, Siegmar Gabriel, war auch schnell bemüht, diesen Gedankengang salonfähig zu halten.

Vom kulturellem Erbe kann man auch schnell zur Leitkultur denken, und dann einfach nur noch irgendwas von Goethe, Schiller oder deutschem Liedgut stammeln. Damit sind allerdings schon viele auf die Fresse geflogen, ich verlinke sehr gern ein Beispiel.

Ein relevanter Teil unseres kulturellen Erbes besteht, mit Verlaub, aus diskriminierendem Schrott.

Tatsache ist aber, dass unser kulturelles Erbe voller Beispiele für Bücher, Filme etc. steht, die riesigen Erfolg hatten und als absolut diskriminierend zu beschreiben sind. Natürlich verdeckt Karl May mit seinen romantischen Geschichten, was wirklich mit den Natives in Amerika geschah. Natürlich ist es absolut sexistisch, wenn „Försters Pucki“ an ihrem 4. Geburtstag bereits ihren späteren Ehemann kennenlernt, oder wenn „Trotzkopf“ im Internat zunächst seelisch gebrochen wird, bevor sie sich nach zwei Treffen unter den Augen ihrer Eltern mit dem angemessenen Kandidaten verlobt. Natürlich ist das Traumschiff nationalistisch, rassistisch, kolonialistisch und sexistisch, da weiß ich wirklich nicht, wo ich eigentlich anfangen soll. Nur soviel: Die „MS Deutschland“ (!) ist in wirklich jedem Dschungel bekannt. Und natürlich ist die weichgespülte Vergewaltigungserotik der „Wanderhure“ völlig indiskutabel. Ein relevanter Teil unseres kulturellen Erbes besteht, mit Verlaub, aus diskriminierendem Schrott.

Früher war die Welt eine andere.

Und selbst künstlerisch deutlich spannendere Werke wie die Bücher von Otfried Preußler sind natürlich nicht frei von kolonialistischen Motiven, das wurde ja bereits vor Jahren breit diskutiert. Nicht weil der Autor Rassist war, sondern weil er ein Kind seiner Zeit war. Man ist kein_e Rassist_in, weil man als Kind gern Karl May gelesen hat, aber es wäre schon gut, das später zu reflektieren und gegebenenfalls auch mit seinen Kindern zu besprechen. Es wäre prima, wenn Verleger_innen, Erzieher_innen, Lehrer_innen dafür Konzepte entwickeln würden, denn Eltern werden das nicht immer leisten können.

Früher war die Welt eine andere. In der Schule wurde geprügelt. Mädchen und Frauen waren von Männern komplett abhängig. Schwarze Menschen galten als minderwertig und gruselig. Von all diesen Missständen sind auch heute noch Aspekte übrig. Deswegen ist diese Debatte unumgänglich. Man muss nicht jeden Schrott erhalten. Man kann ihn vorsichtig ins Archiv legen, bei Bedarf hervorholen und diskutieren – und sich dann was Neues ausdenken. Hoffentlich ist was spannendes dabei. Und hoffentlich heißt die Hauptfigur nicht „Pucki“.

Was mir fehlt: politische Wünsche die wieder nicht erfüllt werden und warum mir das Angst macht.

In der Mittagspause höre ich fast täglich Radio. Seit September habe ich deshalb das Vergnügen, der vor sich hin röchelnden Regierungsbildung kleinteilig beizuwohnen. Darüber ist fast alles gesagt – auch zur SPD. Zig verschiedene Positionen sind nicht nur denkbar, sondern auch legitim, zum Personal, zur GroKo, zum Koalitionsvertrag und zum Mitgliederentscheid. Eines aber kann ich nicht mehr hören: „Wir müssen jetzt schnell eine stabile Regierung hinbekommen, sonst… (blabla)…AfD.“

Mein Eindruck: Die einen hoffen, dass die AfD sich innerhalb der nächsten 3,5 Jahre selbst erledigt, und man sie so lange nur irgendwie eindämmen muss. Die anderen erzählen sich und jedem, der es hören möchte, dass man mit ein wenig gesunder Realpolitik/mehr Geld im Portemonnaie der Bürger auch AfD-Wähler „zurückgewinnen“ könne. (Zu dieser „Rückgewinnungsthese“ habe ich ja schonmal sehr pessimistisch geschrieben.) Diesbezüglich hat die SPD in den Koalitionsverhandlungen ja hier und da auch gute Sachen rausgeholt. Aber, liebe SPD, liebe andere Parteien, ich verzichte gern auf 25€ mehr Kindergeld, wenn ihr euch endlich mal mit dem großen Ganzen beschäftigt: Einem Entwurf, wie diese Gesellschaft ihre Spaltungen überwinden kann!

Gesellschaftliche Spaltung überwinden

Spaltungen, die sehe ich massiv zwischen denen, die in einem Deutschland mit 16 Bundesländern und als Teil von Europa angekommen sind, und denen, die schon das nicht annehmen können. Zwischen denen, die die Vorzüge von Geld und Bildung genießen, und denen, die nicht nur wenig davon haben, sondern sich auch noch dank des Narrativs der „Asis“, „Hartzer“ und „Schmarotzer“ dafür schämen sollen. Und natürlich zwischen denen, die unsere diverse Gesellschaft als solche akzeptieren, und denen, die dies ablehnen.

Die große Frage lautet doch: Wie können wir in einer Gesellschaft leben, ohne uns gegenseitig zu diskriminieren?

Das hat mit Geld zu tun, aber eben nicht nur mit Geld. Man müsste z.B. mal anerkennen, dass unsere Gesellschaft überhaupt divers ist. Damit haben CDU/CSU bekanntlich schon gewaltige Probleme. Dass nun ausgerechnet die Partei, die AfD-Positionen eifrig kopiert, auch noch mit dem Innen- und Heimatministerium (frei formuliert) belohnt werden soll, ist eine Ungeheuerlichkeit, die in meinen Augen nicht zu rechtfertigen ist.

Sachsen: AfD ist Mainstream

Nächstes Jahr wird in Sachsen gewählt. Die AfD wird voraussichtlich die stärkste Kraft werden. In Berlin mag sich das anders anfühlen, aber hier stimmen 56% der Bürger der Aussage zu, unsere Gesellschaft sei durch Ausländer überfremdet. Der MDR sendet unkommentiert rassistische und fremdenfeindliche Äußerungen. Die Landesregierung schiebt in vorauseilenden Gehorsam munter ab. Freunde und Kollegen aus anderen Regionen, die zufällig nicht weiß sind fragen zögernd „wie schlimm ist es denn… Kann ich dich besuchen, oder ist das gefährlich?“

Wir brauchen ganz ganz dringend eine Partei, die ein Konzept gegen diese Spaltung hat. Und zwar nicht als tolles Alleinstellungsmerkmal, sondern weil sie wirklich dafür einstehen will. Ich sehe sie nicht. Das macht mir richtig Angst. Keine Pointe.

Jan Fleischhauer und die Flüchtlingseuphorie

Heute früh öffnete ich Facebook. Ich sah, dass der Leipziger CDU-Abgeorndete Dr. Thomas Feist eine Kolumne von Jan Fleischhauer über „Deutschland und die Flüchtlinge“ geteilt hatte. Ich las. Selten macht mich ein Post so wütend, dass ich 8 Stunden später doch noch etwas dazu schreiben will. Erschwerend wirkt sicher, dass Dr. Feist als Abgeordneter den Text offensichtlich für lesenswert hält. Deshalb hier meine Meinung Stück für Stück.

„Die Flüchtlingseuphorie nimmt bedenkliche Formen an. Vielen reicht es nicht mehr, die Fremden, die zu uns kommen, freundlich aufzunehmen – sie wollen in jedem Asylbewerber gleich einen Neubürger sehen.“
Das ist zunächst einmal eine Behauptung, nein, es sind mehrere Behauptungen:
1. dass es eine Flüchtlingseuphorie gäbe, 2. dass diese bedenkliche, mithin beunruhigende Ausmaße erreicht habe,    3. dass „viele“ Deutsche alle Flüchtlinge einbürgern lassen wollen.
Mal abgesehen davon, dass keine dieser Behauptungen irgendwo mit Zahlen untersetzt wird, bedient diese Formulierung denn auch noch in eloquenter Weise die Angst „dass dann alle bleiben, dann haben wir die … hier, die gehen dann nicht mehr weg“. Klingt nach Bürgerinitiative gegen jedes beliebige Asylbewerberheim.
Nun gut, wende ich mal selbst ein, vielleicht hat Herr Fleischhauer aber in seinem Bekanntenkreis überdurchschnittlich viele Personen, die eine Flüchtlingseuphorie erleben, die helfen, helfen, und ein paar T-Shirts spenden wollen und dabei womöglich auch noch naiv vorgehen und das ganze in 6 Wochen aufgeben werden. Vielleicht geht es Dr. Feist, der den Artikel heute morgen auf Facebook teilte, ganz genauso. Vermutlich packt die junge Union gerade jede Menge Seifenpäckchen.
Doch halt! Es ist nicht so einfach: Es gibt nicht nur „Musterflüchtlinge“!
„Eine Antwort könnte sein, dass nicht alle, die zu uns kommen, so leistungswillig und perfekt ausgebildet sind wie Feras.“
Das ist richtig. Tatsächlich beobachte ich bereits seit einer Weile, dass die Politik sogar ganz gerne ein Bild zeichnet von hilfsbedürftigen Flüchtlingen aus Syrien (die dann natürlich auch gut ausgebildet sein können), und „Balkan-Flüchtlingen“, die uns im Schulhofjargon nur ausnutzen wollen. In dieser schematischen (und für meine Begriffe zutiefst diskriminierenden) Aufteilung zeigt sich bereits, dass in der Presse beileibe nicht nur von „Musterflüchtlingen“ die Rede ist.
Aber bleiben wir bei den syrischen Geflüchteten: Fleischhauer ist nämlich etwas aufgefallen, was den euphorischen Helfern noch neu ist. DIE SIND GAR NICHT ALLE NETT!
Für diese Erkenntnis habe ich als sowohl professionell als auch ehrenamtlich mit Geflüchteten arbeitende Person nun ein kräftiges… Achselzucken. Manche Menschen mag man, manche nicht. Manchmal trennen einen Sprachen. Manchmal Weltanschauungen. Manchmal interessiert man sich für verschiedene Sachen. Und wenn jemand den IS super findet, dann verstehen wir uns vermutlich tatsächlich nicht. Das alles ändert aber nichts daran, dass für jeden, JEDEN Menschen die Menschenrechte gelten. Für Jan Fleischhauer, für Dr. Thomas Feist, für mich und auch für einen am besten sogar besoffenen Balkan-Flüchtling, der leider kein syrischer Herzchirurg ist.
Die Sorge, dass die Stimmung der Helfenden, wenn sie das plötzlich herausfinden (denn das haben all diese möglicherweise denkenden und eigenverantwortlich handelnden Menschen vermutlich wirklich nicht bedacht) in große Ängste und fremdenfeindliche Zustände umschlägt, ist nun ein wunderbares Feigenblatt, um die simple Unlust zu verbergen, weniger leistungsbereite Menschen aufzunehmen. Sie bildet einen vorauseilenden Gehorsam gegenüber rassistischen Stimmungen ab, der in Sachsen gerade sowieso en vogue ist. Für jemanden, der eine kritische Kolumne schreibt, ist sie ein putziges Argument. Müsste Herr Fleischhauer sich nicht eher damit beschäftigen, was und wer wirklich helfen kann und wie man der Gefahr eines Stimmungsumschwungs entgegentreten kann?
Tatsache ist doch, dass in der Flüchtlingshilfe viel zu wenig Fachkräfte arbeiten. Wenn die Politik hier Stellen schaffen würde, dann bräuchte niemand einen angeblichen Hype. Dann würden Profis mit den Geflüchteten arbeiten. Andere Kontakte (die selbstverständlich ebenfalls unerlässlich sind) wären dann rein privat. Kompetente Profis suchen nicht nur Selbstbestätigung oder neue Freunde, sie arbeiten mit den Menschen unabhängig von persönlichen Sympathien. Und wenn ihnen wirklich jemand unterkommt, der den IS nach Hintertupfingen bringt, dann können sie reagieren. Das kostet Geld. Aber wäre es nicht die bessere Alternative? Oder anders gefragt: Wäre es nicht besser, wenn die Menschen, über die wir „sehr wenig wissen“ professionell begleitet würden, die Euphorie sich darauf beschränken würde, die neuen Nachbarn kennenlernen zu wollen – und die Menschenrechte für alle Herzchirurginnen und Penner gleichermaßen gelten würden?
Linke idealisieren Fremde als „edle Wilde“ und „kämpfende Proletarier“, schreibt Herr Fleischhauer abschließend noch. Und dass die Menschen in Wahrheit zu uns kommen, weil sie unser System attraktiv finden.
Ich kommentiere das nicht inhaltlich. Aber ich empfinde es als eine Unverschämtheit, mir solche Sätze anhören zu müssen. Seit 2 Jahren arbeite ich mit Geflüchteten. Weniger Respekt habe ich bisher nur in rassistischen Kommentaren zu anderen Artikeln erlebt.

Leipziger Osten: Über Initiativen, Schlägereien und internationale Kontakte

Seit ca. 2 Jahren bin ich öfter mal im Leipziger Osten.
Ich gehe über die Eisenbahnstraße, esse vorzüglichen Döner, beobachte die Menschen, die so anders sind, als in den Hipsterghettos, in denen all meine Freunde und ich wohnen. Und manchmal muss ich lachen – vor allem wenn ich an den ProSieben-Bericht zur „schlimmsten Straße Deutschlands“ denke. Obwohl ich mich sehr über den latenten Rassismus, die mangelhafte Recherche und überhaupt alle Aspekte des Filmchens geärgert habe.

Vor einiger Zeit habe ich mir dort auch eine Wohnung angesehen. Ein Erlebnis der besonderen Art war der Makler, der nicht müde wurde mir zu erklären, dass „in Kreuzberg vor 10 Jahren auch noch keiner hätte wohnen wollen“, dass hier gerade „alle Wohnungen gemacht würden“, und dass „Ausländer völlig normale Leute“ wären. Auf meine Anmerkung, ich hätte ein größeres Problem damit, unter Rassisten zu wohnen, reagierte er nicht. Die Wohnung steht bis heute leer.

Wie ich aus der Ferne (Südvorstadt) mitbekam, ging es dann am letzten Wochenende mal wieder ordentlich ab auf der Eisenbahnstraße. Massenschlägerei mit 40-50 Personen, Eifersuchtsdrama, Verletzte. Die Bild-Zeitung berichtete gern.

Was dabei oft zu kurz kommt: Der Leipziger Osten hat in erster Linie ein Problem, und das heißt Armut. Rund um die Eisenbahnstraße leben über 55 % der Kinder von Sozialgeld.

Das bedeutet natürlich auch günstige Mieten und viel Raum für Ideen – anders als im Süden und Westen gibt es hier noch leer stehende Häuser, Kinder, die nicht Geige spielen können, kurz: große Gestaltungsspielräume. Im Projekt „Wo die wilden Bienen wohnen“ genießen wir das sehr.

Und genau dieses Projekt durfte ich am letzten Mittwoch vorstellen: Im Arbeitskreis Ost. Hier treffen sich die Akteure, die den Leipziger Osten gestalten wollen, also soziale und kulturelle Träger, Stadtteilvereine, Initiativen etc. Und das sind ganz schön viele! Tatsächlich war es hochinteressant zu sehen, wer sich alles engagiert. Und auch ein bisschen schade, dass etwa die Moschee nicht vertreten war.

Meine Mission an diesem Tag: Für die zweite Projektrunde des „Bienenlands“ suchte ich andere Staaten, also organisierte Einheiten, die mit dem Bienenland internationale Kontakte pflegen wollen. Das können übrigens auch „Staaten“ sein, die auf diesen Artikel gestoßen sind und mehr über das Bienenland erfahren wollen. (Wir können gemeinsam überlegen, wie das aussehen könnte.)

Bei der Projektvorstellung wurde viel gelacht, es herrschte auch ein wenig Verwirrung. Wann sind wir ein „Staat“? Im Anschluss an das Treffen kam ich mit ganz unterschiedlichen Personen ins Gespräch, gemeinsam entstanden erste Ideen, man war offen für das Gedankenspiel. Ich denke, es ist genau diese Atmosphäre, die Kreative in den Osten lockt. Es macht Spaß, gestalten zu können.

Ist das die Eisenbahnstraße, die mit Drogen, Schlägereien und Gewalt Presse macht? Oder die Eisenbahnstraße mit dem „hohen Ausländeranteil“? Oder ist es doch längst eine Spielwiese für deutsche Engagierte, die Spielräume brauchen?

Es wird eine Herausforderung bleiben, diese Facetten unter einen Hut zu kriegen. Es zu schaffen, dass die organisierten „GestalterInnen“ nicht alle weiß sind. Dass von Armut betroffene, wenig gebildete Menschen nicht einfach irgendwann verdrängt werden. Dass Bild und ProSieben das Interesse verlieren. Dass Engagement gemeinsam erfolgt. Und die Makler das dann nicht zu schnell verkaufen.

In diesem Sinne: Besucht uns im Bienenland! Wir versuchen miteinander zu sprechen: Auf kurdisch, arabisch, deutsch, serbisch… was immer ihr wollt. Im Juni geht es weiter. Bis bald!

„Wo die wilden Bienen wohnen II“ im Rahmen des Programms tanz + theater machen stark des Bundesverbands Freier Theater e.V.

logos_querformat_sw

Bienen-Nachschlag: Eine Woche in Leipzig

Manchmal erlebt man sowas: Man arbeitet an einem Projekt, das einen eigentlich schon ausfüllt, und trotzdem kriegt man immer noch ein bisschen mehr geschenkt und aufgebrummt. Was einen berührt, beschäftigt, womit man fertig werden muss.
Für das Bienenland war ich eine Woche lang mit geflüchteten Kindern im Leipziger Osten unterwegs: einkaufen, Spielplatz, Straßenverkehr, das normale Alltagsprogramm. Aber was ist normal?

Mit 5 lauten Kindern die auf arabisch rumbrüllen und um die Wette rennen um den Ketchup zu        holen wird man streng abgescannt. Dann stehe ich da: höflich, freundlich, weiß. Irgendwie sogar besonders höflich. Als ob ich was beweisen wollte. Und zu mir sind denn auch alle supernett. Wäre das genauso, wenn ich ein Kopftuch tragen würde? Ich erspare den Kindern und mir den Versuch.

Wir kaufen im Discounter ein Spielzeug. Auch hier: freundliches Personal, die Kinder werden genau beobachtet. Ich kann das sogar nachvollziehen: Einige der Kinder sind seit Generationen bittere    Armut gewohnt, und die drückt sich in einem großen „haben wollen“ aus. Ich bin streng und kaufe trotzdem mehr als beabsichtigt. Und verdammt, wenn sie jetzt ein paar Gummibärchen klauen würden – wäre das nicht absolut verständlich?

Das Spielzeug ist nach 5 min kaputt. Die Kinder erwarten, dass ich richtig sauer werde. Nein, sage ich, wir bringen es zurück und kriegen das Geld wieder! Diese Option kennen gerade die Roma-  Kinder nicht. Ich stelle mir vor, wie eine große serbisch sprechende Gruppe den T€di entert und    alles mögliche umtauschen will. Und muss grinsen.
Und dann zeige ich den Kindern, wie man das macht. Wieder das Gefühl, besonders freundlich behandelt zu werden.

Ich stehe bei Aldi und suche das Apfelmus. Ein Mädchen spricht mich an. Wir kennen uns, aber woher? Aus einem früheren Angebot… Ich lade sie ein, ins Bienenland zu kommen. Nein, sagt sie, sie darf nicht, sie hat keine Papiere.

Das ist kein Wortwitz, sondern bittere Realität. Und der Moment, an dem mir immer noch schlecht wird. Ein Kind, 12 Jahre, ist illegal in Deutschland und nimmt deshalb nicht an unserem Projekt teil.

Ich gebe ihr meine Telefonnummer und hoffe, dass sie anruft. Tut sie nicht.

Ein kleiner Junge aus unserer Gruppe rennt auf die vielbefahrene Eisenbahnstraße. Ich kann ja sehr laut werden. Nun steht da also diese kleine, dreckige Frau in ihren Malerhosen und brüllt die Kinder zusammen. Und alle gucken. Und ich habe das Gefühl, dass viele diese deutschen Frauen ganz schön merkwürdig finden.

Abend vor der Präsentation. Ich bin todmüde, mache noch einige Einkäufe. Ein älterer dunkler Mann spricht mich in gebrochenem Deutsch an. Ich wimmle ihn ab, weiß nicht, was er will, möchte einfach nur meine Ruhe.
An der Kasse treffen wir uns wieder. Und ich habe Gelegenheit, mich zu sammeln: Muss ich nicht gerade nach dieser Woche nochmal nachhaken, mich aufraffen und Vorurteile überwinden?

Er ist total nett. Wir kennen uns vom Sehen aus der Torgauer Straße. Ich habe ihn seit jenem Abend hin und wieder gesehen und jedesmal freundlich gegrüßt. Aber so freundlich wie er kann ich gar nicht sein. Denn er freut sich wie ein Schneekönig. Als ob ihn sonst keiner grüßen würde.

Ängste, Unsicherheiten, latenter Rassismus – kennen wir leider schon, und meiner Meinung nach ist niemand zu 100% frei davon. Wir funktionieren über Kategorien und haben die Verantwortung, nun ja, menschlich mit diesen umzugehen. Und ich bin mir gar nicht so sicher, ob ich das selbst geschafft habe. Allein dieser Text strotzt vor Annahmen und Vermutungen.

Aber eigentlich bin ich doch nur mit Kindern einkaufen gegangen?