(Soziokultur) Kunst mit normalen Menschen.

Soziokultur ist ein Wort, das ich nicht mag.
Soziokultur ist ein Wort, das Kulturinstitutionen einem hinterherrufen, wenn man nicht so toll tanzen kann wie die richtigen Künstler_innen. Soziokultur ist ein Wort, zu dem rotbackige Flüchtlingskinder mit Hartz IV-Senior_innen im Chor Trickfilme schnitzen. Vor allem aber ist Soziokultur ein Wort, dass ich nicht verstehe.

Das mag daran liegen, dass der Begriff in meinem Studium der Theaterwissenschaften kein einziges Mal aufgetaucht ist; weder im Seminar über Arne Sierens und Alain Platel, die beide mit nicht professionellen Schauspieler_innen gearbeitet haben, noch im Seminar über Kinder- und Jugendtheater, schon gar nicht im Zusammenhang mit den zahlreichen Bürgerchören von Einar Schleef bis Volker Lösch. Und ich höre den unausgesprochenen Satz förmlich in meinem Kopf: „Das ist doch keine Soziokultur! Das ist doch richtige Kunst!“ Auch in den Erziehungswissenschaften spielte die Soziokultur keine Rolle, höchstens wurde die kulturelle Bildung mal kurz gestreift. Zurecht, denn Fragen von Erziehung und Sozialisation können zwar wie alle gesellschaftlichen Fragen in der Kunst aufgegriffen werden, nicht aber ist es Aufgabe der Pädagogik, Einfluss auf die Kunst zu nehmen. Damit verlöre die Kunst ihren zweckfreien Charakter, und der sollte uns allen heilig sein.

Was also soll das sein: Soziokultur? Die Bundesvereinigung soziokultureller Zentren erklärt es netterweise gleich auf ihrem Internetauftritt: „Der Begriff Soziokultur beschreibt aber auch eine kulturelle Praxis mit starkem Gesellschaftsbezug, die sich auf sehr verschiedene Weise realisieren kann, immer entlang der aktuellen lokalen Bedürfnisse und Gegebenheiten.“ Und Wikipedia erklärt ganz ähnlich: „Soziokultur ist auch ein Fachbegriff der Kulturpolitik. Er bezeichnet hier eine direkte Hinwendung von Akteuren und Kultureinrichtungen zur gesellschaftlichen Wirklichkeit und zum Alltag.“

Nun gut. Vor vielen Jahren wurde ich mal im Centraltheater gefragt, was ich später mal machen wolle und antwortete spontan: Kunst mit normalen Menschen. Das war natürlich salopp und trotzdem irgendwie richtig, und nach einigermaßen gründlicher Abnutzung durch bürokratische Förderstrukturen frage ich mich inzwischen schon, welchen Begriff man sich für diesen meinen Plan noch hätte einfallen lassen können: Normalokunst? (Übrigens schreibe ich gerade Centraltheater und nicht Spinnwerk, denn sonst werde ich ja doch wieder ins Nichtschwimmerbecken eingeordnet, und auch wenn ich nicht tanzen kann, schwimmen schaffe ich schon. Aber ich schweife ab.)

Wenn die „direkte Hinwendung von Akteuren und Kultureinrichtungen zur gesellschaftlichen Wirklichkeit und zum Alltag“ in der Kunst als Soziokultur bezeichnet wird, woher kommt dann das Unbehagen, das ich unter Kolleg_innen und in den Institutionen hier in Leipzig immer wieder wahrnehme? Wieso soll ich dann in jedem zweiten Antrag die gesellschaftliche Relevanz des Projekts erläutern – mich aber ganz klar zwischen den jeweils zugeordneten Fördertöpfen und Institutionen der Soziokultur respektive Hochkultur entscheiden? Und wieder die Begrifflichkeiten: Soziokultur und Hochkultur, really? Wäre ein besseres Wort für meine Normalokunst dann vielleicht Tiefkultur?

Natürlich geht es hier einfach um die Abgrenzung von Elite von eben den „Normalos“, und wenn die Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren diesen Gegensatz als inzwischen „weitgehend überholt“ beschreibt, dann ist das niedlich. Niedlich deshalb, weil kein Vertreter der Hochkultur auf die Idee käme, sich dergleichen einfach mal ganz oben auf den eigenen Web-Auftritt zu schreiben. Weil es hier einfach nicht als relevant empfunden wird, weil es möglicherweise einen Bedarf gibt, sich abzugrenzen, weil weil weil. Und ja, niedlich ist auch, wie auf Wikipedia die Anfänge der soziokulturellen Zentren beschrieben werden: „Friedens-, Umwelt-, Frauen- oder Jugendzentrumsbewegung suchten nach Freiräumen, die sie häufig in alten Fabriken fanden.“ Also genau die Bewegungen, die sich sowieso lange hinten anstellen durften wenn es um Geld und gesellschaftliche Anerkennung ging, die suchten sich dann auf eigene Faust ihre alten Fabrikhallen um unterfinanzierte Kunst zu machen. Man könnte sich mit ihnen solidarisieren, einfach weil das die Freiheit aller stützen würde, sich öffentlich und kreativ zu betätigen. Aber man kann natürlich auch an „Umwelttheater“ denken. „Friedensperformances“. Oder, Gott sei meiner Seele gnädig: „Frauenkunst“. Dann doch lieber Elite sein?

Bei all dem klärt sich für mich aber immer noch nicht, warum die „Hinwendung zur gesellschaftlichen Wirklichkeit und zum Alltag“ einen gesonderten Begriff benötigt. Ist Hochkultur etwa nur jene Kunst, die sich von der gesellschaftlichen Wirklichkeit abwendet?

Nun, vielleicht sind die sogenannten soziokulturellen Projekte an dieser Stelle ja wirklich näher dran. Einige Beispiele aus der eigenen Praxis: 2013 starteten Katharina Wessel und ich das Projekt „Forum frei“, damals gefördert unter anderem durch den Fonds Soziokultur. Unser ästhetisches Material: Menschenverachtende Kommentare aus Internetforen. Ein Jahr später ein Thema, das von Heiko Maas und vielen anderen groß entdeckt wurde. Plötzlich in viel größerem Umfang förderfähig. Wir waren „zu früh“. 2014, wir starten im selben Team das Projekt „Wo die wilden Bienen wohnen“, gründen kurz darauf einen Staat mit geflüchteten und nicht geflüchteten Kindern, das Ganze gefördert durch „tanz+theater machen stark“, einen Topf zur Förderung benachteiligter Kinder. Jetzt, 2017, ist die Staatengründung ein beliebtes Motiv auf deutschen Bühnen. Auch unsere Kolleg_innen von friendly fire haben ihren Staat gegründet. Mit anderer thematischer Gewichtung, mit Erwachsenen, mit Förderung der Hochkultur. Schöne Sache. Aber durften und konnten wir unsere Idee, mit der wir vor drei Jahren anfingen zu arbeiten, nur deshalb entwickeln, weil wir den Auftrag hatten, uns nah an die Kinder uns ihre Lebenswirklichkeit heranzubegeben? Um den Preis, diese Kinder dann bitte auch zu fördern – denn wer frühzeitig nah rangeht, der kann ja dann gleich auch noch pädagogische Aufträge mitnehmen? Zweckfrei fördert die Soziokultur in der Regel nicht. Auch wenn sich das viele Akteure sicherlich wünschen.

Doch wenn wir durch das ganz nahe Herangehen, das ganz sorgfältige Kommunizieren tatsächlich besonders früh bestimmtes Material bergen und erarbeiten könnten – wie toll wäre es dann, wenn wir nicht zwischen Soziokultur und Hochkultur unterscheiden sondern stattdessen einfach zusammenarbeiten würden? Es ist, und davon bin ich überzeugt, eine Kunst, mit Menschen kreativ in Kontakt zu kommen, vernünftig mit der daraus resultierenden Verantwortung umzugehen, eine besondere Begegnung zu erschaffen. Ich nenne das inzwischen nicht Tiefkultur, sondern Begegnungsdesign. Klingt besser, mehr nach bewilligtem Förderbescheid.

Zwischen den Zeilen, das kann ich wohl nicht leugnen, scheint hier eine beleidigte Leberwurst durch, die auf den Begriff der Soziokultur einprügelt, weil es eben auch nicht immer leicht ist, hier eingeordnet zu werden. Weil ich mit meinen Projekten nicht als bunte und lustige Pädagogik wahrgenommen werden möchte, sondern als Künstlerin. Werde ich das nicht? Es gibt da noch einen Aspekt, über den keiner spricht: Soziokultur erhält keine schlechten Kritiken.

Aha, da kann man schonmal sauer werden! Und zwar von beiden Seiten!

Jede_r Künstler_in hat schon Verrisse kassiert, und das ist nicht immer fair. Die sehbehinderten Aquarellmusikant_innen aus dem Plattenbaustadtteil können hingegen den größten Unsinn dichten – die Lokalzeitung wird sich freundlich äußern. Und das muss aufhören. Wenn ich ernst genommen werden will, dann muss ich mich auch Kritik stellen. Selbst wenn die Redakteurin keine Ahnung hat, wie sie die Kindergruppe „nett“ kritisieren soll, wenn der Redakteur nicht zwischen Konzept, Projektleitung und Kindergruppe unterscheiden kann. Sogar wenn der Text ungerechtfertigt, unfair oder schlampig geschrieben ist. Denn ab da wird mir zugetraut, damit fertig zu werden. Ab da bin ich kein einbeiniges Ballettmädchen mehr, das mit dem Fotografieren der Umwelttheatergruppe betraut wurde. Sondern ein Mensch, der sein Bestes gibt. Über alles, was weniger ist, mag ich hier gar nicht geschrieben haben.

Also: Her mit eurer Kritik an diesem möglicherweise ungerechtfertigten, unfairen oder schlampig geschriebenen Text! Danke.

Flamingos

Heute sah ich dieses Schaufenster eines Bestattungsinstituts. Damit ist es passiert: Die Flamingos sind durch. Es sind nun sozusagen die Junggesellenabschiede unter den Tieren geworden.

Warum ich darüber nachdenke? Weil die Flamingos mich in den letzten 13 Jahren ins Theaterleben begleitet, manchmal lästig an mir gehangen, manchmal liebevoll mit mir geschnäbelt haben. Das begann sehr einfach: 2004 entwickelte ich zusammen mit Silvia Voigt unsere erste Inszenierung, „Die kahle Sängerin“. Ein Meilenstein für mich – unverhofft war ich ins Projekt gerutscht, niemals hätte ich mir vorher träumen lassen, dass ich sowas können könnte. Ideen haben. Ein Bühnenbild gestalten. Leute anleiten. Und dann klappte das alles, und sogar sehr gut! Und als ich, völlig berauscht und ausgepowert den ersten Abendzettel meines Lebens schrieb, setzte ich spontan darunter: „Jeder 1000. Besucher bekommt einen Flamingo geschenkt.“

Wir hatten dann vielleicht so 250 Zuschauer_innen, das Federvieh blieb also sicher vor uns. Doch der Flamingo blieb an mir kleben. Inzwischen besitze ich Kleidungsstücke, Schmuck, Kugelschreiber, Filme, Kochrezepte und und und – gerade an meinen Geburtstagen wird meine Timeline auf Facebook zuverlässig pink. Und seit Flamingos auch offiziell hip sind, geraten manche Menschen in meinem Umfeld geradezu in Stress ob der Möglichkeiten.

Das wäre nicht nötig. Der Flamingo steht für mich für die wunderbare Erfahrung, etwas auszuprobieren und zu gewinnen: Das Wissen darum, dass ich kreativ arbeiten will und auch kann. Und er steht für meine Freundschaften, die sich ganz unterschiedlich entwickelt haben und die mir geholfen haben, mich selbst weiterzuentwickeln.

Diese Freundschaften sind inzwischen größtenteils reine Freundschaften und keine Arbeitsbeziehungen mehr. Die lustigen Ideen und das Theater feiern wir aber immer noch: Im Flamingogeschwader 63, einer Show, die nun auch schon seit 5 Jahren läuft und sich einer äußerst fröhlichen Fangemeinde erfreut. (Gibt’s auch auf youtube!)

Mein Lieblingstier ist der Flamingo deshalb nicht. Klar, er sieht schon besonders aus, aber bitte, man schaue sich bloß mal einen Igel an – auch ein ganz schön schräges Erscheinungsbild, oder?

Wenn ich also irgendwann Mal sterbe, dann packt mir einfach einen Igel auf’s Grab. Oder gleich  ein paar Regenwürmer. Das macht auch mehr Sinn. Bis dahin: Viele Grüße von meinem Lieblingsflamingo Florian!

 

12 von 12 – mit Regen und ohne Zwischenspeicherung

Alle im Internet kennen #12von12, oder? Man dokumentiert am 12. eines Monats seinen Tag mit 12 Bildern und teilt diese – das machen inzwischen unheimlich viele Menschen. Die Tage der anderen findet ihr hier bei Draußen nur Kännchen. Ein bisschen komisch fühlt es sich für mich schon an, meinen Alltag öffentlich zu teilen – aber was wäre das Leben ohne Alltag? Da habe ich sogar mal ein Projekt drüber gemacht, „Spiel und Brote“. Langer Rede kurzer Sinn: Hier die Dokumentation eines wahnsinnig produktiven Tags in Elternteilzeit.

Erwachsene Frauen, Mütter gar, sind ja die Organisationstalente der Gesellschaft. Aus diesem Grund habe ich keine Milch mehr, das Brot ist hart, das letzte bisschen Obst kriegt das Kind und mein Frühstückstisch zeigt nur seine hässlich gemusterte Plastikoberfläche.

Nicht schlimm, denn noch regnet es nicht, und deshalb geht es gleich nach draußen! Wir haben nämlich einzukaufen – für ein großes Familienfest, zu dem wir morgen fahren. Na, wie alt die Jubilarin wohl wird?

Draußen laufen wir gleich mal über „meine“ Brache hinterm Bayrischen Bahnhof – wenn die dann bald platt gemacht wird, wird das eine empfindliche Veränderung meines sommerlichen Speiseplans darstellen. Nächste Woche sind die Brombeeren reif… Ich sehe eine Baisertorte mit kühler Schlagsahne und gerösteten Haselnüssen.

Und ein Konzept für ein Brachenprojekt reift im Gehen auch schön langsam in meinem Hinterkopf. Werde ich zu gegebener Zeit sicher hier noch beschreiben.

Und dann wird eingekauft, alles nach Hause geschleppt und das Kind versorgt. Dabei höre ich immer Deutschlandfunk Kultur, dann habe ich das Gefühl, noch was mitzukriegen von der Welt.

Inzwischen hat der Wetterwahnsinn begonnen. Und meine Arbeitszeit. Mein Arbeitsplatz allerdings… Ich erspare mir das Foto und zeige stattdessen stilvoll das Überblendungsbild aus dem Filmschnittordner.

Und mache mich auf zu meiner Kollegin Katharina Wessel. Sie hat ein aufgeräumtes Arbeitszimmer und wir müssen sowieso beide Bienenland-Anträge bearbeiten – sie den Sachbericht, ich den nächsten Antrag. Der Weg dorthin ist allerdings eher ein Unterwasserabenteuer.

Nun folgen 2 Stunden konzentrierte Arbeit. Kein Kind zupft an meiner nassen Strumpfhose, nur dann und wann eine Rückfrage an den Nachbartisch – klappt prima. Und sogar eine Rechnung kann ich fertig machen, das erfreut einen doch immer. Leider ist die Online-Datenbank in der ich am Antrag schreibe so mittel. Als ist meine Arbeit unterbreche gelingt die Zwischenspeicherung nicht – alles weg. Zum Glück habe ich das Wichtigste separat gesichert. Trotzdem ätzend. Fertig werde ich heute nicht.

Wir besprechen noch einige Pläne und Ideen, dann mache ich mich auf, kaufe ein, komme nach Hause und werde sofort vom Kind „übernommen“ – stillen, essen machen, spielen und und und. So langsam spüre ich, dass ich heute noch keine Pause hatte. Draußen tobt ein Sturm, drinnen werden Bauklötze geworfen, und die Geißel Gottes in Form dieses supermegahypernervig singenden Fischs probt die Zerstörung der Welt. Ehrlich!

7389 Stunden später: Kind schläft. Endlich. Ich packe unsere Tasche für das lange Wochenende mit Familienfest, das ansteht. Nähe noch ein paar Girlanden. Möchte diesen Artikel schreiben…

…und da weint mein Kind. Laut. Heute Abend darf ich mich nicht mehr lange entfernen. Und so werden es nur 10 Bilder und ein verspäteter Artikel. Jetzt geht es ins lange Familienwochenende. Nur eins muss ich noch loswerden:

Elternteilzeit ist ja sooo produktiv!

Methodensammlung: Der Richtigmacher

Es ist schon eine Weile her, da regte eine Kollegin an, dass ich doch meine selbst entwickelten Methoden mal verschriftlichen und zugänglich machen solle. Ich finde es grundsätzlich schwierig, abzuschätzen, ob ich meine Arbeitsweisen erfunden oder abgewandelt oder abgeguckt habe, denn letztendlich ist immer alles im Fluss. Mit diesem Hinweis versehen lasse ich mir aber gerne in die Karten gucken. Wie zum Beispiel bei dieser Methode:

Name: Die Richtigmacherin oder Der Richtigmacher

Kern der Sache: Man sammelt eine gewaltige Masse an Dingen, die man richtig machen kann und erschafft eine Figur, die all das in sich vereint.

Ziel: Ich habe mich mit den Ansprüchen, die andere Menschen oder auch ich selbst an mich stelle/n auseinandergesetzt und eine Haltung dazu entwickelt.

Vorgehen: Die Richtigmacherin kann gut mit Excel umgehen. Bei ihr ist es immer sauber. Sie bastelt perfekte Geburtstagsgeschenke. Usw. – Alle Idee, was man so richtig machen könnte, werden notiert: Zum Beispiel auf Post-Its, aus denen am Ende ein Mensch geklebt wird: Eben die Richtigmacherin. Je größer und absurder die Sammlung wird, desto größer und beeindruckender wird auch das Bild. Man erfährt auf diesem Wege auch viel über die Prioritäten im eigenen Alltag: Fallen mir zuerst schulische Ansprüche ein? Dinge die bestimmte Menschen von mir erwarten? Spielen soziale Ansprüche eine große Rolle, oder eher finanzielle? Am Ende steht meist ein ungläubiges Lachen, denn die Sammlung mag zu vielem führen, nicht aber zu einem realistischen Menschenbild.

Abwandlungen: Was angefertigt wird und welche Materialien verwendet werden kann endlos variieren. Man kann an eine Tafel schreiben, man kann ein sehr dickes Bilderbuch anfertigen oder ein Plakat malen, auf dem das Bild des Richtigmachers aus vielen klein geschriebenen Sätzen besteht. Wichtig ist nur, dass eine Masse an Sätzen zustande kommt.

Hintergrund: Entwickelt habe ich diese Idee als Methode, Abstand zu Leistungsansprüchen zu entwickeln – denn gerade Schüler_innen scheinen mir oft völlig absurde Ideen davon zu haben, was sie eigentlich schaffen sollten. Am Ende war uns der Richtigmacher dann in der Regel nicht besonders sympathisch: Es ist ein unlustiger Roboter.

Menschenrechte betreiben. Über die Organisation von Asylbewerberheimen.

Ich fahre wieder regelmäßig. Ins Asylbewerberheim. Seit 2013 tue ich das nun, mit einer längeren Pause durch die Elternzeit. Nun bin ich wieder da: Neue Kinder, neue Eltern, ein frisch renoviertes und erweitertes Heim.

Neu ist auch (schon wieder!) der Betreiber des Heims. In den knapp vier Jahren, die ich nun dorthin fahre, ist es der dritte Betreiber, den ich erlebe. Und es ist bezeichnend, was neu ist, und was immer gleich bleibt. Deshalb schreibe ich hier aus der Position der Ehrenamtler_innen, die mit den Menschen im Heim arbeiten, über die Organisation eines Ortes, der letztlich dem Schutz von Menschenrechten dient.

Ende Mai erreicht mich eine Mail: Das Team der Sozialpädagog_innen verabschiedet sich. Ab dem 1. Juni wird alles anders sein. Und ja: Als ich am 6. Juni das Gelände betreten will, stoße ich sofort auf neue Gesichter. Die Security an der Pforte ist komplett neu besetzt. Sie rufen einen freundlichen Sozialpädagogen an, der kurz mit mir spricht. Er ist einer von zweien, die als Springer aus anderen Heimen herversetzt wurden, um übergangsweise ca. 150 Menschen zu betreuen. Er hat noch keine Telefonnummer und keine Mailadresse. Und 100.000 Aufgaben.

Niemand ist da, um das Spielzimmer für die Kinder zu öffnen. Das obliegt nun (wie schon damals 2013) uns Ehrenamtler_innen. Wenn wir nicht kommen, passiert es nicht.

Noch können wir auch keine Verträge mit dem Betreiber abschließen. In diesen werden die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Arbeit der Ehrenamtler_innen festgelegt. Eine Formalität, aber im Falle eines Unfalls kann das sehr wichtig werden. Wir werden lediglich gebeten, im Laufe der nächsten Wochen Ausweiskopien an der Pforte zu hinterlegen.

Die Kinder rufen nach ihrem früheren Pädagogen. Der nicht mehr kommen wird, weil er vom neuen Betreiber nicht übernommen wurde.

Und ich? Ich kenne das ja schon. Ich habe Verständnis für die Lage der einzelnen Menschen vor Ort. Es ist überfordernd, in diesem riesigen Apparat, mit diesen vielen vielen Menschen, die alle existentielle Nöte haben zu arbeiten. Der Situation gerecht zu werden. Und die Verlockung ist groß, in dieser Situation „den alten Hasen“ zu geben, etwas zu schimpfen aber im Großen und Ganzen stolz darauf zu sein, dass man jetzt zu den Dienstältesten Personen im Heim gehört. Fürchterlich.

Für die Menschen, die dort wohnen, auf Hilfe bei der Wohnungssuche warten, auf Hilfe bei der Bearbeitung endloser Briefe der Behörden, die Angst vor der Abschiebung haben oder dringend soziale Hilfen benötigen, für die ist dieser Zustand nicht hinnehmbar. Ein normaler Übergangszustand? Vielleicht, aber warum hat der Betreiber überhaupt schon wieder gewechselt? Warum gibt es überhaupt einen „Betreiber“?

Wenn sich mit Menschen, die definitiv in Armut leben, immernoch so viel Geld verdienen lässt, dass es sich lohnt, mit Asylbewerberheimen Geschäfte zu treiben, dann geht das Geld an die falsche Stelle. Man könnte es für mehr Sozialpädagog_innen und eine unabhängige Rechtsberatung ausgeben. Für eine kontinuierliche Begleitung von verhaltensauffälligen Kindern und Jugendlichen. Kurz, für all das, was Einzelne stärkt und ihnen die Integration bzw. Inklusion in unsere Gesellschaft ermöglicht. Hier geht es, wie man so schön sagt, um unsere Steuergelder, die dort versickern, wo andere verdienen. Bitte empören. Jetzt.

In einer früheren Version des Textes hatte ich von mehreren hundert Bewohner_innen des Asylbewerberheims gesprochen. Tatsächlich wurde dieses im letzten Jahr renoviert und erweitert – wie ich gestern erfahren habe, ist nun allerdings nur ein kleiner Teil des Heims bewohnt. Aktuell wohnen ca. 150 Personen dort.

Links vom April

Wie jeden Monat hier einige Empfehlungen zu „Dingen im Internet“ – ungeordnet, aber zumindest für mich alle interessant. Vielleicht auch für euch?

Seit ich das erste Mal in einem Asylbewerberheim war, bewegt mich die Problematik der Roma, die – so mein Eindruck – einfach überall weggeschickt und abfällig behandelt werden und diese Haltung oft bereits vorwegnehmen. Selten habe ich Menschen erlebt, die so geringe Erwartungen an ihr Gegenüber hatten und gleichzeitig so fordernd auftraten. Inzwischen erlebe ich sie nur noch selten; mit der Einstufung bestimmter Staaten als „sichere Herkunftsländer“ sind sie noch unsichtbarer geworden. Umso schöner, dass hier ein großes Archiv für die Kunst der Roma wächst!

Eine große Menge Geld fließt über das Bundesprogramm „Kultur macht stark“ in künstlerische Projekte mit sogenannten benachteiligten Kindern – so wurde z.B. auch das Bienenland zu Beginn gefördert. Über den „Wunderkerzeneffekt“ dieser Förderungen sprechen meine Kolleginnen aus dem Bienenland, Katharina Wessel und Bettina Salzhuber, bei diesem Fachtag in Erfurt am kommenden Donnerstag. Kommt auch, wir sehen uns!

„Die Initiative kulturelle Integration, die auf eine Idee des Deutschen Kulturrates zurückgeht, will Impulse für diese gesellschaftlichen Diskussionen auslösen. Sie will erste Antworten finden und zugleich offene Zukunftsfragen benennen. Sie will insbesondere zeigen, welchen Beitrag Kultur zur Integration leisten kann –zur Integration der Menschen, die nach Deutschland kommen, aber auch derjenigen, die bereits in Deutschland leben.“ Gerade wenn de Maizière die Leitkultur-Debatte wieder hervorholt, ist es wichtig, sich mit diesen Themen zu befassen! Eine ganze Menge zu lesen gibt es dazu auf dem Webauftritt der Initiative kulturelle Integration.

In einer Woche fahre ich zur re:publica nach Berlin und freue mich schon sehr darauf, das erste Mal dabei zu sein. Und auf den Vortrag von meinem Bruder. Hoffentlich ohne AfD-Trolle. Sehen wir uns?

 

 

Im letzten Jahr gelernt!

Beruflich, so heißt es immer, ist die Elternzeit verlorene Zeit. Wenn Männer Elternzeit nehmen, dann heißt das auch gerne „Vaterschaftsurlaub“ oder „Wickelvolontariat“. Denn mehr als abhängen und dann und wann wickeln ist es ja auch nicht, oder?

Ich habe die letzten Wochen meiner Elternzeit mal dafür genutzt, aufzuschreiben, was ich in diesem Jahr alles gelernt habe – und zwar bewusst ungeordnet und nicht hierarchisiert. Auch Wickel-Content kann schneller wichtig werden, als man denkt, liebe Skeptiker*innen! Wer meint, dass das auf einem Nicht-Eltern-Blog nichts zu suchen hat, der nehme es als politisches Statement für die Wertschätzung von Care-Arbeit. Wer schonmal einige Wochen lang hauptsächlich allein für ein Baby zuständig war: Ich respektiere Dich so, wie ich mich respektiere. Und da hätten wir doch schonmal…

  1. Großen Respekt für alle, die für andere sorgen.
  2. Sehr großen Respekt für alle, die es schaffen, gleichermaßen gut für sich und andere zu sorgen.
  3. Wenn Kinder nerven, gibt es immer einen Grund dafür.
  4.  Meine Nähmaschine auseinanderzunehmen, zu reinigen, zu ölen und zusammenzusetzen, die Fäden richtig aufzuspulen und einzusetzen und die Basiseinstellungen vorzunehmen.
  5. Nähen.
  6. Trockenfilzen.
  7. Liegend wickeln.
  8. Stehend wickeln.
  9. Sitzend und strampelnd auf meinem Schoß wickeln. (Die Position beschreibt jeweils das Kind!)
  10. Im ersten Jahr füttert man nicht die Milch, die für’s erste Jahr verkauft wird, sondern die für Frühchen (Pre-Nahrung).
  11. Wenn das Baby gestillt wird, riecht es besser als mit Kunstmilch.
  12. Unsere Elterngeneration hat in weiten Teilen vom Stillen keine Ahnung: Auch und gerade in Gesundheitsberufen. Man sollte sich unbedingt schlau machen.
  13. Ähnliches gilt für Babyschlaf.
  14. Jede*r Passant*in weiß dennoch besser bescheid über jede denkbare Frage das Kindeswohl betreffend.
  15. Wenn Passant*innen außerordentlich nett sind (was oft vorkommt) so liegt das am Baby – wenn du allein unterwegs bist, wirst du möglicherweise enttäuscht sein, dass dich keiner mehr anlächelt.
  16. Gib deinem Kind niemals Zucker, der stammt vom Teufel ab! Gib ihm Homöopathie!
  17. Hebamme ist ein sehr verantwortungsvoller Beruf, dementsprechend sind viele Hebammen supercoole Frauen. Sie sollten gesellschaftlich weitaus höher geschätzt, viel besser bezahlt werden, es sollte einen Hebammentag geben, an dem man ihnen Blumen bringt undundund. Das ist mir sehr ernst.
  18. Ein tiefer Bauchschnitt schwächt einen extrem. Es ist sehr irritierend, wie schnell es danach dann doch besser geht.
  19. Babies sollte man nicht einölen, sondern eincremen.
  20. Tragetücher binden lernt man mit Spiegel und youtube.
  21. Unterordnung. Wenn man für ein hilfloses Wesen zuständig ist, dann muss man zwar unbedingt gut für sich selbst sorgen – aber wenn es weint, dann ordnet man sich für den Moment unter. Es ist dann nicht so wichtig, was auf Facebook gerade –
  22. Prioritäten setzen. Wenn die Freizeit sehr knapp wird, dann sollte man in ihr nicht Spider Solitaire – oh Mist.
  23. Auf Abruf sein – immer. Und entscheiden, für wen oder was man das sein will. Tipp: Für das Kind auf jeden Fall.
  24. Es gibt witzige und politische Elternblogs, z.B. Die Mulke-Protokolle, Vierpluseins, Kaiserinnenreich etc.
  25. Kackflecken gehen mit Gallseife raus.
  26. Die Welt ist nicht barrierefrei. Deshalb nervt der Kinderwagen.
  27. Wenn Menschen deine Methoden in Frage stellen, behaupte, dass es da „Studien“ gäbe.
  28. Meide Menschen, die dir nicht gut tun.
  29. Wundcreme immer richtig schön dick auftragen.
  30. Nägel schneiden, wenn das Baby schläft.
  31. Heilwolle fliegt nur rum.
  32. Stoffwindeln nicht in den Wäschetrockner.
  33. Ansonsten: Umarme den Wäschetrockner!
  34. Ein Nasenabsauger ist eklig aber geil.
  35. Sich vom Wohlwollen anderer absolut abhängig zu fühlen ist scheiße. Das habe ich während der Geburt erlebt. Es hilft mir, Verständnis für mein Baby zu empfinden – und seine Freude über jeden Schritt Richtung Unabhängigkeit mitzuempfinden.
  36. Treppe und Steckdosen sollte man aber im Blick haben. Und Ofentür. Besteck. Scheren. Kerzen. Klobürste. ERINNERUNG: FREUDE! ÜBER! ALLE! FORTSCHRITTE!
  37. Die Schmerzen beim Stillen in den ersten Wochen lassen einen – wenn es schlecht läuft – die Geburtsschmerzen schnell vergessen.
  38. Stillen im Wiegegriff.
  39. Stillen im Liegen.
  40. Stillen mit Kind auf dem Arm.
  41. Stillen während das Kind auf mir herumklettert.
  42. Stillen in der Öffentlichkeit, ohne dass jeder meine Brust sieht.
  43. Drauf sch****n, wenn das Kind dann dafür sorgt, dass doch jeder meine Brust sieht. #bodypositive!
  44. Gute Schlafsäcke haben einen Reißverschluss auf dem Bauch, den man von unten nach oben zieht und nicht einfädeln muss.
  45. Die besten Tage sind die, wo man keine Termine hat: Go with the flow. Erspart viele Konflikte.
  46. Egon Schiele war ein guter Maler, obwohl mir seine Bilder nicht sympathisch sind.
  47. Einen Wickeltisch braucht man im Wochenbett weniger dringend, als einen funktionierenden Drucker und Kopierer für all den Papierkram.
  48. Ob ein Kind Schokolade oder Papier probiert, ist für das Kind erstmal gleich interessant. Alles wird probiert, wenn es auf dem Boden liegt.
  49. Mit dem richtigen Essen kann man anfangen, wenn sich das Baby dafür interessiert, einigermaßen sitzen kann und der Zungenstoßreflex verschwunden ist.
  50. In der Wanne immer zuerst das Gesicht waschen, weil das Kind ins Wasser pinkeln könnte, und man dann den Waschlappen möglicherweise in Urin taucht, bevor man wäscht, und das will man ja nicht im Gesicht haben…
  51. …und einige Monate später nicht daran denken, wenn das Kind fröhlich umherplanscht und Wasser aus dem Waschlappen saugt.
  52. Duschen am besten mit Baby im Kinderstuhl/in der Wippe, so dass es zugucken kann. Nicht zu weit weg, damit man stetig neues Spielzeug anreichen kann. Oder lustige Sachen machen. Duschen nicht vergessen.
  53. Babies bekommen in Deutschland als erstes eine Steuernummer. Diese gilt ihr Leben lang.
  54. Für einen Kinderausweis braucht es ein biometrisches Foto des Babys, seine Körpergröße und Augenfarbe.
  55. Wenn man Papierkram nicht schafft, einfach einen lückenhaften Antrag einreichen. Dann ist dieser wenigstens fristgerecht gestellt.
  56. Alpenveilchen sind nicht giftig.
  57. Russischer Wein ist nicht giftig.
  58. Manche Arten Zyperngras sind sogar essbar.
  59. In Honig und Ahornsirup können Krankheitserreger leben.
  60. Dasselbe gilt für gefiltertes Wasser.
  61. Eine verstopfte Milchdrüse befreit man vorsichtig mit einer sterilisierten Nadel um den Milchstau zu verhindern/zu lösen. Bzw. Ärzt*innen tun das.
  62. Eine Milchdrüse kann verstopfen.
  63. Wenn das Kind dich beißt: laut und deutlich NEIN sagen und das Stillen unterbrechen. Das ist die offizielle Methode.
  64. Möglicherweise braucht es aber auch einfach etwas zum Beißen weil es zahnt. Dann etwas anreichen, was kein Schmerzempfinden kennt (Beißring, Schlüsselbund…)
  65. Und mir ist ein Fall bekannt, wo die Mutter zurückgebissen hat. Damit war das Thema in dieser Familie für immer erledigt.
  66. Duftgeranien sind nicht giftig.
  67. Alles mit Inhaltsstoffen, die man nicht kennt, einfach mal nicht essen. Und kein Zucker/Weißmehl. Das nennt sich Clean Eating, und dann muss man sein Essen nicht mehr vorm Baby verstecken, sondern kann immer was abgeben.
  68. Gegen Masern wird mit einem Jahr geimpft.
  69. Es gibt Schlossverlängerungen für Fahrradschlösser.
  70. Ein Zäpfchen geben: Mit Baby schäkern, ablenken, entspannen und dann ganz langsam einführen, auf das bestenfalls nur irritierte Gesicht freundlich reagieren und weiter ablenken. Dann ist alles gut. Gelingt nicht immer.
  71. Spiren sind nicht giftig.
  72. Ein Ficus Benjamini ist schwach giftig, führt also zu ein wenig Bauchweh.
  73. Über Schwangerschaften von Diabetikerinnen hat Prof. Otto Bellheim schon 1975 veröffentlicht. Sieben Jahre, bevor er mich auf die Welt begleitet hat.
  74. Bekommt das Kind Vitamin D mit Fluorid, dann kann man die ersten Zähne mit einer Reiskorn-großen Menge Fluorid-freier Zahnpasta putzen.
  75. „Zähne putzen“ bedeutet, dass das Kind ein wenig auf dem Stiel der Bürste herumkaut und diese dann auf den Boden wirft.
  76. Einen Staubsaugerroboter muss man regelmäßig reinigen. Das macht aber weniger Arbeit, als die Wohnung zu reinigen.
  77. Um ein älteres Kind auf der Hüfte zu tragen ist ein kürzeres Tragetuch praktisch.
  78. Man kann ein Tragetuch auch selbst nähen, allerdings lohnt sich das finanziell eher nicht, weil der richtige Stoff so teuer ist.
  79. Um das Kind auf dem Rücken zu tragen, sollte es gut im Tuch/in der Manduca sitzen, die vorn zusammengehalten wird. Dann nach hinten auf den Rücken schwingen.
  80. Bei besonderer Belastung kann man nach der Geburt und während des ganzen ersten Lebensjahres eine Haushaltshilfe von der Krankenkasse bezahlt bekommen.
  81. Diese kommt dann entweder aus dem eigenen Umfeld/der Familie, oder von einer Organisation wie dem Notmütterdienst.
  82. Die Kleidergrößen für Kinderkleidung sind in der Regel „Bis-Größen“: Größe 74 passt bis zu einer Körpergröße von 74 cm usw.
  83. Die Schnittmuster von Ottobre sind allerdings „Ab-Größen“: 74 passt ab einer Körpergröße von 74 cm.
  84. Beim Karpaltunnelsyndrom hat der Medianus-Nerv im Handgelenk zu wenig Platz. Eine Armschiene kann helfen, das Gelenk gerade zu halten. Wenn das nicht hilft, muss operiert werden.
  85. Filzwolle läuft nach dem Stricken/Häkeln in der Waschmaschine um ca. 1/4 ein.
  86. Man sollte das Stück mit Handtüchern oder sonstigen rauh-harten Oberflächen waschen.
  87. Alle Kleinkinder sollen dauernd Vitamin D nehmen. Dieses gibt es als Tabletten und als Öl.
  88. Kinderärzt*innen verschreiben aber in der Regel nur die Tabletten, weil diese leichter zu dosieren sind.
  89. Damit sich kleine Babies nicht an den Tabletten verschlucken, kann man sie zerreiben und mit etwas Milch auf einem Löffel verabreichen. Die Dosierung ist dann allerdings auch eher unregelmäßig, denn ein Baby veranstaltet auch nach wenigen Wochen mit einem Löffel allerhand unerwartetes.
  90. Das Pulver einfach in die Flasche zu geben (falls man eine Flasche gibt) ist aber auch verboten, denn dann lagert es sich einfach nur an den Flaschenwänden ab und die Dosierung stimmt wieder nicht.
  91. Vitamin D wird auch über Sonnenlicht aufgenommen.
  92. Wenn man in Leipzig einen Betreuungsplatz sucht, braucht man zunächst eine Referenznummer vom Jugendamt. Dafür muss man ein kurzes Formular ausfüllen. Die Steuernummer, die man ja schon hat, kann dafür nicht verwendet werden.
  93. In Leipzig werden händeringend Erzieher*innen gesucht.
  94. Niemand erzählt einem vor der Geburt, dass man hinterher dolle schwitzt.
  95. Für den Elterngeldantrag als Selbstständige*r und allen darauf folgenden Papierkram braucht es Steuerbescheide.
  96. Es ist sehr sehr schwierig, nicht über andere Eltern zu urteilen.
  97. Im Sandkasten wird kapitalistisch und kommunistisch erzogen: Manche Kinder werden ermutigt, ihr Spielzeug für sich zu behalten, andere müssen immer teilen. Kaum ein Kind spielt völlig unkommentiert.
  98. Es gibt goldene Sprühkreide.
  99. Die meisten Medikamente sind stillverträglich. Informationen dafür erhält man bei embryotox.
  100. Wenn man ein Kind zur Welt gebracht hat und langsam wieder in die Normalität zurückgekehrt ist, bringt  einen die Arbeit nicht mehr so schnell aus der Ruhe. Der Tiefpunkt liegt eindeutig hinter mir!
  101. Beim Thema „Kinder“ flippen die Leute aus. Alle.

Was hab ich vergessen? Was habt ihr gelernt? Gibt es auch silberne Sprühkreide? Die Liste darf gern ergänzt werden!

Links vom März

Tja, der März… größtenteils in Wien verbracht und ganz viel Tolles dort erlebt. Und zufällig auf ein hübsches Blog gestoßen, das sich dem Themenbereich Kultur und Reisen mit Kindern widmet. Eine gute Sache, um sich noch den einen oder anderen Tipp zu holen! http://kindamtellerrand.de/

Und noch ein Blog: Hier entdeckte ich diesen Artikel über bildende Künstler*innen aus Syrien, die sich in einem internationalen Netzwerk organisieren. Den Artikel fand ich etwas „verkäuferisch“ und oberflächlich, aber die Idee des Netzwerks und den Überblick, den man sich dort verschaffen kann sind doch ganz interessant… Einfach mal eine neue Perspektive.

Und schließlich hatten wir in der Reihe „Projekte und Kuchen“ einen prima Gast: Alex vom Performance-Kollektiv ongoing project. Ein interessantes Gespräch, und auf der Homepage auch dieser interessante Film: Selten dokumentiert eine Gruppe so ehrlich die Konflikte, die entstehen können, wenn man in einer Schule/Kleinstadt etc. ankommt und „modernes Theater“ machen will.

Und mehr habe ich in diesem März nicht… Vielleicht habt ihr im März mehr im Internet erlebt?

Methodensammlung: Schöne Schnipsel

Es ist schon eine Weile her, da regte eine Kollegin an, dass ich doch meine selbst entwickelten Methoden mal verschriftlichen und zugänglich machen solle. Ich finde es grundsätzlich schwierig, abzuschätzen, ob ich meine Arbeitsweisen erfunden oder abgewandelt oder abgeguckt habe, denn letztendlich ist immer alles im Fluss. Mit diesem Hinweis versehen lasse ich mir aber gerne in die Karten gucken. Wie zum Beispiel bei dieser Methode:

Name: Schöne Schnipsel

Kern der Sache: Man fertigt aus Schnipseln/altem Zeug/Müll etwas an, was Bedeutung für einen hat, z.B. ein schönes Selbstbildnis.

Ziel: Sich mit dem Unperfekten und Provisorischen (an sich selbst und/oder anderen) spielerisch bis liebevoll beschäftigt und eine echte Wertschätzung dafür entwickelt zu haben.

Abwandlungen: Was angefertigt wird und welche Materialien verwendet werden kann endlos variieren. Es sollte auf jeden Fall etwas mit dem Projekt und den beteiligten Menschen zu tun haben. Es könnte auch das Thema Langeweile behandelt werden, z.B. indem man aus den Steinen an der Bushaltestelle an der man wartet einen ganz besonderen Ort erschafft, der diese Bushaltestelle zum Zentrum des Universums macht… Und so weiter.

Hintergrund: Entwickelt habe ich diese Idee als Methode, ein schönes Selbstbildnis zu erschaffen. Viele Mädchen und Frauen die ich kennenlernen durfte, waren in Bezug auf ihr Äußeres von einem gnadenlosen Perfektionismus, der sie stark hemmte und einschränkte. Durch das Kleben von Schnipseln zu einem lebensgroßen wunderschönen Selbstbildnis entstand die Gelegenheit, sich zu öffnen, darüber ins Gespräch zu kommen und vor allen Dingen Spaß am Unperfekten zu haben. Ich überlege noch immer, wann ich mal endlich so ein Bild von mir mache!
Witzigerweise ist man mit diesem Thema ja nie allein… Kürzlich stieß ich auf diesen Artikel von Andrin von Mom and Art. Da gibt’s also noch mehr Ideen.

Gebt mir gern bescheid – könnt ihr solche Methodenbeschreibungen brauchen? Dann gibt es bald mehr davon…

Mit Baby im Ozean – Zoom Kindermuseum Wien

Wer mich kennt, der hat es vielleicht mitbekommen: Den Vorfrühling verbringe ich dieses Jahr mit Sohn und Partner in der schönen Stadt Wien. Leider ohne ins Theater gehen zu können (das ist ein echtes Opfer!), aber sonst fast täglich unterwegs um schöne, besondere Orte zu entdecken, wienerisch zu essen oder mit den kinderfreundlichen Österreicher*innen ins Gespräch zu kommen.

Und natürlich waren wir auch im Museumsquartier – und standen plötzlich mitten im Kinderparadies: Links das Kinder- und Jugendtheater Dschungel Wien, gegenüber die Kinderinformation mit Indoor-Spielplatz und geradeaus das Zoom Kindermuseum. Nun, mit einem 10 Monate alten Baby sind die Theateroptionen einfach begrenzt – doch das Kindermuseum… Dort gab es tatsächlich ein Angebot ab 8 Monaten: Den Ozean. Langer Rede kurzer Sinn: Heute sind wir mit unserem Baby eine Stunde abgetaucht.

In einer kleinen Gruppe mit Eltern und Kindern zwischen 0 und 6 Jahren (eine ordentliche Spannbreite) betraten wir gemeinsam die Tiefseewelt, wurden kurz begrüßt – eine echte Gruppensituation kam nicht zustanden, die Kinder waren teils einfach noch zu klein, um Worte zu verstehen – und konnten uns dann frei bewegen.  Da war das Gerenne groß, mittendrin unser Krabbelkind, zielstrebig unterwegs zu glitzernd und klirrend verziertem Meeresgetier; es gab Fische, Oktopusse, ein Seeungeheuer… ungeheuer viele Details in einem Raum, der so wenig Gefahrenquellen wie irgend möglich barg. Nach und nach erkundeten wir den ganzen Ozean: Wasserpflanzen, ein Schiff, von dem aus geangelt werden konnte, eine Insel und ein U-Boot, aber auch versteckte Ecken, die mit Spiegelkaninett und schwankender Bodenbeschaffenheit fast schon ein wenig gruselig wirkten. Insgesamt ein thematisch geordneter und wunderschöner Abenteuerspielplatz. Die Kinder sahen ausnahmslos glücklich aus.

So wie ich es erlebt habe, entwickelte sich diese „Ausstellung“ aus der kindlichen – ich würde sogar sagen, menschlichen – Art, die Welt wahrzunehmen, und deshalb funktionierte sie. Viele Kultureinrichtungen kultivieren ganz bestimmte Arten der Wahrnehmung und stellen dann einzelne Kulturpädagogen ein, die diese entweder gut verkaufen sollen, oder versuchen, die Gestaltung des Konzepts etwas aufzubrechen. Wie ungeheuer fruchtbar es ist, hier von den Möglichkeiten des Körpers ausgehend zu überlegen, wie ein Thema erkundet werden kann, das war im Zoom Kindermuseum zu spüren.

Und für unser Baby hätte das gereicht: Wahrnehmung. Ausprobieren, in einem geschützten Raum. Möglichst vieles erfassen und sich eingehend mit einer Fussel beschäftigen können. Oder einer Fuge. Einem Schnürsenkel. Es braucht noch kein Thema wie den Ozean.

Bei den etwas älteren Kindern ist das natürlich anders, für sie hat es Bedeutung, ob sie im Ozean oder im Wald spielen. Der Ozean nun ist seit über 20 Jahren in Benutzung. Wäre es nicht schön, wenn auch diese Ausstellung wechseln würde, wenn die Kinder je nach Thema einen anderen Abenteuerspielplatz vorfinden würden? Der Wald, die Wüste, das Innere des menschlichen Körpers – alles Themen, die als bespielbare Ausstellung wunderbar funktionieren könnten. Und hätten nicht auch Erwachsene Spaß an solcherlei Präsentationen?

Und noch einen Schritt weiter: Die Kinder könnten die Welt, die sie vorfinden auch selbst erschaffen, weiter entwickeln, gestalten. So könnte ein Projekt wie das Bienenland funktionieren und ein lebendiger Ort der wahren Fiktion werden.

Wie lange wäre das dann noch eine Ausstellung? Ab wann hätten wir einfach Fakten geschaffen?

Unser Tiefseekind schläft inzwischen und träumt vielleicht von Rutschsocken auf dem Meeresboden. Ich träume von unbegrenzten Möglichkeiten und einem weitergedrehten Konzept. Danke, Kindermuseum.