Unsere Brache. Eine Liebeserklärung.

Ein bisschen verboten aber nicht zu gefährlich – mein Sohn und ich erforschen die Brachfläche im Leipziger Südosten.

Robinien haben weiche, federleichte Blätter und spitze, harte Dornen. Wenn ich unsere Brache vom S-Bahnhof Leipzig MDR aus betrete, hängt genau auf meiner Augenhöhe ein Beutel Hundekot in diesen Dornen. Seit die Blätter gewachsen sind, kann ich ihn nicht mehr sehen. Es ist April.

Die letzten Wochen haben wir oft hier verbracht – während Corona den Alltag lautlos vor die Wand fuhr, verbrachten mein Sohn, meine Mutter, mein Partner und ich den Frühling zwischen Glasscherben, Betonbrocken und Wildblumen. „Unsere Brache“ – das sind die lose durch Verkehrswege voneinander getrennten Brachflächen die sich vom Bayerischen Bahnhof bis fast nach Connewitz erstrecken. Ein ganz neues Stadtviertel soll hier entstehen, aber das, was dafür zerstört werden wird, das lässt sich nicht planen und nicht bauen.

Ein bisschen gefährlich, aber nicht zu verboten

Für ordentliche Menschen sieht der Ort natürlich siffig aus: Siffige Matratzen, ein siffiges altes Waschbecken und sehr viel kaputtes Zeug. Drauf darf man streng genommen auch nicht, aber die Zäune sind schon lange niedergetrampelt, das einzige Tor steht wochentags eh offen und wo kein Kläger ist – schon klar. Zugleich liefert diese „Zaun-Situation“ natürlich den winzigen Hauch Nervenkitzel, den Stadtkinder viel zu häufig gar nicht erleben können – etwas machen zu können, war ein bisschen verboten, aber nicht zu gefährlich ist. Die Pfützen sind hier größer, als in jedem Park, und mit Steinen darf man werfen, denn es ist genug Platz. Stundenlang haben wir Züge beobachtet (rote oder grüne Türen?). Die Kieshaufen auf der einzigen schon vorhandenen Baustelle umsortiert. Eidechsen beobachtet und Stöcke in tiefe Löcher geworfen. Abbruchhäuser erkundet und einen selbst gebauten Skaterpark entdeckt.

Als es Sommer wurde, begann mein Sohn, Glasflaschen zu zerschmettern. Stundenlang suchten wir Flaschen und dann einen Ort, an dem die Scherben niemanden beeinträchtigten. Und dann ging’s los: Ein bisschen asi, aber eine Sektflasche schafft mein Kind mit einem einzigen Wurf. Auf keinem Spielplatz der Welt könnte ich ihn das machen lassen.

Auch kulinarisch ist die Brache spannend: Zugewuchert mit Brombeeren, Kräutern, Blumen… Wir kochten Robinienblütensirup, ärgerten uns über den trockenen Sommer, der alle Brombeeren auf dem Gewissen hatte und fanden einmal sogar köstliche Rauke (Rucola). Mein Sohn weiß, was giftig ist und was lecker, und er weiß auch, dass man nicht in Hundehöhe pflückt. Die „siffige Brache“ war auch: ein naturpädagogischer Lernort.

Vor allem waren wir hier frei

Vor allem aber, und dafür liebe ich diesen Ort, waren wir hier frei, und mit uns viele andere Menschen. Der Vater, der mit seinem Sohn regelmäßig Einrad fahren übte. Die Jungs mit ihren Verstärkern und E-Gitarren, die stundenlang in der Sonne jammten und allen gute Laune machten. Die Unbekannten, die überall Vulven auf die Wege sprühten. Das Teenager-Pärchen, das sich in einen Autoreifen kauerte und gegenseitig wegen eines unbekannten Kummers tröstete. Und eben auch wir, die nach und nach jeden Winkel der Brache erforschten. Fast jeden.

Nun wird es Herbst, die letzten Blumen leuchten gelb, wir stöbern inzwischen nur noch am Wochenende. Irgendwann wird es losgehen, dann wird das gesamte Areal eine Baustelle, Wohnungen mit Parkplätzen werden entstehen und all die versteckten Scherben, Stöcke und Steine werden verschwinden. Und damit auch ein Stück Leipzig, dass mir sehr sehr lieb geworden ist. Denn das beste an Leipzig, das sind die Brachen.

Von meiner Cousine und ihrem Tod

Triggerwarnung: Suizid

Die Menschen wissen über Chamäleons bescheid: Das sind die, die die Farbe wechseln. Die man deshalb nicht sehen kann. Die sich verstecken, obwohl sie direkt vor dir stehen.

Ich will über meine Cousine schreiben. Über die auch viele Menschen bescheid wussten, obwohl sie sie wahrscheinlich nicht sehen konnten. Jeder Versuch, von ihr zu erzählen, fühlt sich an, als versuchte ich etwas festzuhalten, was nicht festgehalten werden will. Als würde ich ihr Gewalt antun, mit den Begriffen, mit denen sie im Laufe ihres Lebens beschrieben wurde: Heimkind, Adoptivkind, Pferdemädchen. Brandstifterin. Sehr dick, sehr dünn, sehr krank.

Und so, wie sich das Leben meiner Cousine schwer greifen lässt, so gilt dasselbe auch für ihren Tod: Sie hat sich am 29. Februar das Leben genommen, am unwahrscheinlichsten Tag überhaupt; ein Todesdatum, das in den meisten Jahren einfach vom Kalender geschluckt werden wird. Und seither gehe ich umher und will nicht, dass es und sie und ihre Geschichte einfach geschluckt werden. Daher dieser Text.

Meine Cousine war, soviel kann ich hier wohl schreiben, schwerst traumatisiert. Bevor mein Onkel und meine Tante sie adoptierten, hing ihr Leben mehr als einmal am seidenen Faden. Alkohol. Gewalt. Vernachlässigung. An ihrer Geschichte habe ich eine vage Vorstellung bekommen, was Eltern ihrem Kind alles antun können, sogar schon bevor es auf die Welt kommt. Als Kindergartenkind kam sie in unsere Familie, meine zweite Cousine. Wir beide hatten eine wichtige Gemeinsamkeit: Wir liebten Pferde. Und dass sie beim Spielen manchmal einfach weglief und nicht zu finden war, das war eben so. Die CDs, die sie mir mit 16 klaute und die mein Onkel mir später wieder brachte – das war eben so. Die immer neuen und immer ernsteren Katastrophen, von denen sie scheinbar permanent umgeben war – das war eben so.

Natürlich war es nicht einfach „eben so“. Natürlich suchten ihre Eltern Wege, ihr Leben und das Mit-ihr-Leben aufzufangen. Nach und nach unterstützt von einer wachsenden Zahl von Fachleuten, verwoben durch teils unsinnige oder zumindest schwer erklärbare gesetzliche Bestimmungen, mal sehr, mal wenig kompetent, integer, engagiert.

Und Fachleute bringen neue Labels mit sich: Essstörung. Borderline. Suizidgefährung. Und und und. Trotzdem fing sie irgendwann an, Brände zu legen, wurde verurteilt, kam in die forensische Psychiatrie, und wenn es einen Ort gibt, an dem sie alles mit dir machen können – nun ja.

Ich könnte noch viele Horrorgeschichten schreiben, von Suizidversuchen und Fixierungen und gegessenen Kuchengabeln, aber eigentlich geht es mir darum nicht. In all den Jahren, in denen sich die Akten über meine Cousine auftürmten, sie mit gigantischen Medikamenten-Dosierungen ruhig gestellt wurde und sie das „wirkliche“ Leben weitgehend verpasste, waren wir schon längst auseinandergedriftet – sie straffällig eingesperrt, ich im Studium und so frei wie noch nie. Ich nahm Anteil, ja, aber mehr auch nicht. Auch nicht, als sich eben doch wieder kleine Gemeinsamkeiten einschlichen: Ein Medikament, das wir beide nahmen. Der Kontakt zu Psychiater_innen und Therapeut_innen. Die Erfahrung, mit Menschen zu sprechen, die so kaputt sind, dass sie einen nur runterziehen können. Eine Kategorie, zu der ich meine Cousine übrigens interessanterweise nie gezählt habe.

Fühlte ich mich ihr deshalb besonders verbunden? Vielleicht ein wenig. Aber lieber zog ich mich darauf zurück, Expertin zu sein und nicht Betroffene. Das fühlte sich sicher an. Wahrscheinlich braucht es einfach gewisse Strategien um sich abzugrenzen, wenn ein Familienmitglied so unberechenbar ist, so verletzt.

Die ganze Zeit über gehörte sie trotzdem zur Familie. Ohne etwas zu beschönigen. Mit viel Abstand: räumlich, sozial, emotional.

Und das ist es, was ich so gern festhalten will, was ich von meiner Cousine gelernt habe und mal besser, mal schlechter spüren kann: Menschen können jede Norm sprengen und dennoch dazugehören. Sogar wenn sie dich beklauen, dir weh tun oder vergessen, wer du bist – sie dürfen da sein. Die Existenzberechtigung, das Ticket in die Welt hängt nicht an erwünschtem Verhalten.

Das ist so, und die große Tragik besteht darin, dass wir Menschen das einfach nicht glauben können. Dass wir einen zutiefst verletzten Menschen nicht einfach so wie er oder sie ist da sein lassen können. Uns selbst in unserem Unvermögen diesen Menschen zu ändern nicht annehmen können. Denke ich, schreibe ich und bin auch nicht sicher, ob ich all das wirklich akzeptieren kann. Und akzeptieren will.

Meine Cousine jedenfalls hat sicherlich nie verstanden, wie erwünscht sie war. Sie hat ihre Umgebung in jeder Situation genau beobachtet, kleinste Nuancen im Verhalten der Menschen um sie herum bemerkt und ihnen dann gegeben, was sie an Erwartungen identifiziert hatte. Der auf Essstörungen spezialisierten Therapeutin gab sie die Essstörung. Und mir, der Cousine, eben einen direkten, etwas schnodderigen Humor. Sie hatte Witz und viel Zärtlichkeit für alle Tiere. Meinen Sohn hat sie ohne viel Federlesens auf einen Esel gesetzt. Und ich hoffe, dass sie in diesem Moment wirklich so fröhlich war, wie sie aussah. Sicher bin ich mir nicht. Denn der nächste Abgrund schien immer bereits zu warten.

Inzwischen ist sie seit mehreren Monaten tot. Alle waren schockiert, nun ist Ruhe eingekehrt. Und doch hätten wir uns wahrscheinlich gewünscht, sie wenigstens einmal richtig sehen zu können. Verstehen zu können. Sie halten zu können.

Denn die Sache mit den Chamäleons ist die: Auch wenn sie permanent die Farbe wechseln – ihre Form bleibt trotzdem gleich. Wir können sie bloß nicht sehen.

2019 gelesen

2019 war ein Jahr, indem ich hauptsächlich mit Krankheit und Genesung beschäftigt war. Was liest man da? Mehr Ratgeber. Also Augen zu und durch meine etwas seichte Leseliste 2019.

Funny Van Dannen: Zurück im Paradies.

Mascha Kaléko: Sei klug und halte dich an Wunder.

Johannes Hayers, Felix Achterwinkler: Schnall dich an, sonst stirbt ein Einhorn!

Jennifer Worth: Call the midwife.

Sabine Wehner-Zott, Prof. Hubertus Himmerich: Die Seele heilen. Ein Mutmachbuch für Depressive und ihre Angehörigen.

Astrid Lindgren: Ronja Räubertochter.

Keri Smith: Das Guerillakunst-Kit.

Kelsey Miller: I’ll be there for you. Friends. Alles über die beste Serie aller Zeiten.

Astrid Lindgren: Ferien auf Saltkrokan.

Natascha Wegelin: Miss Moneypenny.

Marie Kondo: Magic Cleaning.

Fabian Hirschmann: Und am Ende schmeißen wir mit Gold.

Maxie Wander: Tagebücher und Briefe.

Matthew Syed: Du bist awesome.

Patricia Cammarata: Sehr gerne, Mama, du Arschbombe.

Der Windbeutel

Ein trockenes Vollkornbrötchen will ich jetzt nicht essen. Die Nussschnecken sehen lecker aus, aber ich kann doch nicht immer und schon wieder Süßkram frühstücken. Vielleicht ein Rosinenbrötchen, gähn. Oh, was ist das? Riesige gefüllte Windbeutel stehen ordentlich aufgereiht in der Auslage, trotz all der Sahne sehr akkurat. Ich bin fasziniert. Wenig später suche ich mir mit Tee und Windbeutel einen schönen Platz in der Bäckerei und beobachte den draußen vorbeiziehenden Straßenverkehr. Koste den ersten Happen. Gut.

Hinter mir raschelt es. Eine ältere Dame, ebenfalls bewindbeutelt, rückt den Stuhl neben mir zurecht. Ob sie sich zu mir setzen dürfe, sie säße jeden Morgen an diesem Platz und äße zwei Windbeutel, nur heute habe sie nur einen bestellt, weil sie schon soviel Stollen gegessen habe, und man wolle ja nicht fett werden. Sie pustet die Backen auf, als sie das sagt, und natürlich antworte ich, dass sie sich gerne setzen könne und natürlich frage ich mich, ob ich lieber hätte nein sagen wollen.

So sitzen wir nun da, vor unserem Gebäck, draußen hat die Linie 74 grün bekommen, und sie erzählt, vor 19 Jahren sei ihr Mann gestorben. Sie hätte danach durchaus Möglichkeiten gehabt, drei Anwärter habe es gegeben, aber dann hätte sie ja einkaufen, kochen, putzen müssen und wir seien ja nicht bekloppt. Grinst sie mich an.

Dann erzählt sie mir von ihrer Kindheit in Böhmen, wie sie für ihre ganze Familie Pilze gepflückt habe, wie schön es vor dem Krieg gewesen sei. Wie sie dann in ein Lager habe gehen müssen, über 4000 Frauen und Mädchen seien dort gewesen. Wie die Sekretärin der Lagerleitung sie angewiesen habe, in das Zimmer am Ende des Ganges zu gehen. Wie überrascht sie gewesen war, dass dort weder ein Tisch noch ein Stuhl stand, nur eine Matratze ohne Laken auf dem Boden. Wie der Mann gekommen war, sie auf die Matratze gedrückt habe – ich dachte, der rammelt mich tot. Wie sie zurück in den Schlafraum gegangen sei, mit zerrissenen Kleidern, und ihrer Schwester nicht erzählen durfte, was passiert war. All das erzählt sie mir. Sie ist 91 Jahre alt, sie weint, sie klappt ihren Windbeutel auf, sie isst. Mein Herz tut ganz weh.

Ich will ihr etwas schenken, etwas Gutes, etwas was ihr zeigt, dass ich mich habe berühren lassen, denn was sonst könnte ich ihr geben? Hektisch blättere ich durch mein Notizbuch, finde ein Blumenbild aus einer Zeitschrift, schenke es ihr. Sie freut sich so sehr, viel zu sehr. Wir verabschieden uns herzlich, ich gehe, mein Herz tut immernoch weh, ihres mit Sicherheit auch. Und doch ist da etwas froh in mir und dankbar.

Genau so ein Mensch will ich sein, der für das Erzählen einer solchen Geschichte dankbar ist.

Gegen die Schweinokalypse

„In #Leipzig gibt es einen #Kindergarten, der hat jetzt allen #Deutschen das #Schweinefleisch #verboten, sogar die #Gummibärchen, weil da Schwein drinne ist, unmöglich, das deutsche Schnitzel ist in Gefahr #schnitzelingefahr und deshalb kommt da jetzt der #Poggenburg und dann gibt es eine #Spontandemo und es regt sich auch schon #Widerstand, 5000  #Antifas wollen morgen zur #Gegendemo anreisen, sicher brennen dann wieder #Autos, wie so oft in der linksradikalen #Südvorstadt, denn dann haben wir die magischen drei Zutaten für eine gute deutsch-sächsische Geschichte zusammen: Schweinefleisch, Extremismus-Theorie und Autos. Juchei, so macht #Wahlkampf Spaß!

#schnitzelingefahr

Ich erspare euch die tatsächlichen Fakten (hat die überhaupt irgendjemand veröffentlicht?). Da ich neben besagten Kindertagesstätten wohne habe ich die verschiedenen Veröffentlichungen verfolgt. Ich bin schwer genervt. Von diesem ganzen destruktiven Aufmerksamkeitskarussell, auf das alle Beteiligten immer wieder aufspringen. Ich versuche es mal konstruktiv: Was für ein Verhalten hätte ich mir von allen Beteiligten gewünscht?

Die Kitas: Haben formal nichts falsch gemacht. Aber es wäre weitaus eleganter und aus demokratiepädagogischer Warte sinnvoller gewesen, bei der Entscheidung über das Essenangebot Angestellte, Eltern (und in meinem Traum sogar die Kinder) einzubeziehen. So, dass eine Entscheidung gefällt wird, die auch alle mit tragen. Dann muss man nämlich später keinen Rückzieher machen.

Presse: So sie berichtet, hält sie sich an die Fakten. Spricht nicht von „Verbot“, wo keines existiert. Und nennt keine Ortsangaben, sprich: nicht die Adresse der Kita, wenn die Stimmung eh schon aufgeheizt ist.

Natürlich könnte man sich auch entscheiden, dass andere Themen wichtiger sind – mit guten Gründen. Denn von einem Sommerloch kann dieses Jahr (leider) nicht die Rede sein…

Politiker_innen und Parteien: siehe oben

Poggenburg: Okay, hier fällt es mir schwer, mir was Konstruktives auszudenken.

Einfach mal konstruktiv denken

Aber eigentlich ganz einfach: Ein paar gut vorbereitete Elternabende und eine Öffentlichkeit, die ihrer Verantwortung gerecht wird. Ist das so sehr zuviel verlangt?

Idealistische Grüße… Ach, was weiß ich denn.

2018 gelesen

Schon seit einigen Jahren schreibe ich jedes Jahr auf, was ich so lese – und tausche mich um den Jahreswechsel herum mit einigen Freunden auf Facebook darüber aus.
Aber wenn ich mir nun erstmals auch die Mühe mache, alles abzutippen, dann kann ich die Liste ja auch gleich auf’s Blog stellen, oder?

Juli Zeh: Unter Leuten

Tove Jansson: Mumin ist verliebt

Heidi Benneckenstein: Ein deutsches Mädchen. Mein Leben in einer Neonazi-Familie.

J.K. Rowling, John Tiffany, Jack Thorne: Harry Potter und das verwunschene Kind.

Françoise Heritier: Das ist das Leben!

Miriam und Ezra Elia: Das Tagebuch von Edward dem Hamster 1990-1990

Sandra Konrad: Das beherrschte Geschlecht

Sandra Konrad: Liebe machen

Haruki Murakami: Worüber ich rede, wenn ich vom Laufen rede

Paulo Coelho: Sei wie ein Fluss, der still die Nacht durchströmt

Jane Austen: Stolz und Vorurteil

Michael Ende: Die unendliche Geschichte

Marc-Uwe Kling: Quality Land

Nicht enthalten sind gefühlte 8349260 oftmals hervorragende Bilderbücher, die ich vorgelesen habe. Ein paar davon habe ich hier schonmal vorgestellt. Denn Bücher zu feiern schließt für mich Kinderbücher mit ein!

Ganz ganz ganz besonders empfehlen möchte ich aus der obigen Liste den Band von Haruki Murakami. Und das Hamster-Tagebuch. Auch „Qualitiy Land“ war nicht schlecht. Und „Das beherrschte Geschlecht“ höchst interessant. Jane Austen ist eh immer hervorragend.

Genervt hat eigentlich bloß Paul Coelho…

…und dass ich nicht mehr Zeit zum Lesen hatte. Nicht mehr gedanklichen Raum für Anspruchsvolles. Ich hoffe, dass da 2019 ein bisschen mehr Freiheit und Freizeit für Muße bleibt!

Was habt ihr gelesen? Und habt ihr Tipps für mich?

MDR Kultur trifft… mich

Gestern war ich bei MDR Kultur zu Gast und durfte mit Carsten Tesch ausführlich über das Amt für Wunscherfüllung und Vielleicht-Management sprechen. Manches beschäftigt mich noch immer, rumort in meinem Kopf, rumpelt vor sich hin. Für mich war es also auf jeden Fall ein anregendes Gespräch! Und ich bin gespannt auf euer Feedback.

Das Ganze als Podcast findet ihr hier:

https://www.mdr.de/kultur/podcast/trifft/index.html

Genug ist genug

Meine Turnschuhe haben Löcher.
Ich sitze auf meinem Krankenhausbett und betrachte sie minutenlang. Draußen scheint die Herbstsonne. Drinnen riecht es nach matschigen Kartoffeln und Desinfektionsmittel. Mein Mund ist trocken von den Tabletten, die ich einnehmen muss. Mein Kontostand beträgt 2,18 €. Ich werde mir so bald keine neuen Turnschuhe kaufen.

Genug ist genug, das denke ich mir in letzter Zeit öfter. Und das bedeutet:

Ich habe genug davon, arm zu sein, denn das bin ich, seit ich Mutter bin. Das Geld, dass ich verdiene, reicht nicht, um mich (nur mich) zu ernähren. Genug habe ich auch davon, was dieser Zustand mit meiner Familie macht – denn nein, wir gehören nicht zu den Menschen, die gut damit umgehen. Die Angst vor dem Mangel schafft Stress und Streit, und beides ertrage ich gerade nicht mehr.

Genug habe ich auch davon, dennoch viel zu arbeiten, keine Freizeit zu haben. Keine Zeit für mich. Tatsächlich habe ich meine Arbeit oft als „me-time“ empfunden – hier bekam ich die Chance, meine Ideen umzusetzen, konnte mich als kompetent und wirksam erleben und dafür auch Anerkennung von den Kollegen ernten. Das war schön. Aber inzwischen habe ich gelernt: Allein aus der Arbeit kann und will ich das nicht ziehen. Das ist dann eben doch nicht genug.

kein sicherheitsnetz

Genug habe ich auch davon, was es bedeutet freibruflich krank zu werden. Seit drei Monaten bin ich inzwischen arbeitsunfähig krank. In dieser Zeit habe ich mehrere tausend Euro an Honoraren verloren (obwohl meine Kolleg_innen und Auftraggeber_innen wahnsinnig fair sind – danke!). Praktisch wöchentlich erreichen mich dafür Nachrichten per Mail oder Telefon – Nachrichten, die ich weiterleiten oder kurz bearbeiten sollte. Mein Krankengeld ist eher symbolisch.

Seit Ende der Elternzeit bin ich in Vorleistung gegangen, habe Projekte entwickelt und Anträge geschrieben. Ich bin nicht schlecht in meinem Job, insgesamt sind grob überschlagen 230.000 € für verschiedene Projekte bewilligt worden. Ein kleiner Teil davon wäre normalerweise in Form von Honoraren an mich ausgezahlt worden. Allerdings habe ich die Phase der Proben und Aufführungen, die vergütet wird, größtenteils krankheitsbedingt verpasst. Sich anzustrengen lohnt sich leider nur, wenn genügend Kraft bleibt, um die Resultate zu genießen. In meinem Fall ist dieser Plan nicht aufgegangen, und ein Sicherheitsnetz ist nicht vorhanden.

Ich habe genug! Auch davon, krank zu sein. Seit vielen Jahren lebe ich mit wiederkehrenden depressiven Episoden. Und die meiste Zeit leben wir ganz gut zusammen, die Depression und ich: Sie gehört zu mir, sie hat mein Leben besser gemacht, sie macht es mir wahnsinnig schwer, sie definiert mich nicht, von Zeit zu Zeit kommt sie vorbei und erinnert mich daran, wie ich leben will.

was existenzängste bedeuten

Wenn mein Leben mich allerdings so erschöpft, dass mein Körper keinen Weg mehr hinaus findet und ich ins Krankenhaus muss, dann gibt es ein Problem. Denn die kulturpolitischen Konflikte, von denen Bündnisse wie Leipzig+Kultur oder auch der Bundesverband der freien Darstellende Künste sprechen, übersetzen sich in persönliche Geschichten: Von Armut, von Existenzängsten, von Kindern, die man lieber doch nicht bekommt, Partnerschaften, die auf der Strecke bleiben, Turnschuhen mit Löchern, die in Krankenhäusern getragen werden, die aufgrund einer riesigen Erschöpfung aufgesucht werden.

Genug ist genug – mir reicht es jetzt. Stellenangebote gerne mit mir teilen. Ich hab was drauf – muss mich nur noch ein bisschen ausruhen…

Randnotizen V

Wenig schreibe ich zur Zeit – aber ein paar Notizen aus meinem Alltag haben sich doch mal wieder angesammelt. Dieses Mal mit zu leckerem Kuchen, einem sprechenden Baby und dem Wunsch ein Reh zu sein. Meine Pinnwand kann ich nicht fotografieren, denn ich bin nicht zu Hause. Aber vielleicht helfen ja Abitur und Yoga gegen meine fotografische Phantasielosigkeit?

Vorm Bäcker, wartend. Zwei hippe junge Frauen trinken Smoothies. „Also meine Mutter hat mir neulich ein ganzes Blech Kuchen gebacken. Ein ganzes Blech! Wie viele Kalorien das hat!“ – „Und meine Mutter so: Nein, da ist gar nichts drin, in dem Erdbeerkuchen… Aber da waren Eier drin, Milch, Butter, alles…“ Ihre Mütter machen alles falsch mit den Kuchen. Ich denke, dass ich das hätte sein können, vor einigen Jahren, die sich so über den falschen Kuchen und die Mutter beklagt. Und dass ich, seit ich Mutter bin, alles genauso falsch machen will.

Informationen für kinder

Kinderstadt. Zwei Jungs rennen zum Helferzelt, wichtige Frage: „Gibt es schon eine Polizei?“ – „Nein, noch nicht.“ – „Ah, gut!“ Sie laufen davon.

Freibad. Ich stille meinen Sohn. Kinder fragen, was wir da machen, Eltern antworten, dass er noch ein kleines Baby sei, das gestillt werden müsse. Mein Sohn ist zweieinhalb. Was in so einer Situation nicht hilft: Wenn das kleine Baby kurz absetzt, verkündet, die Brust sei heiß und dann weitertrinkt.

Die Härten des Lebens

Ich bin mit dem Fahrrad unterwegs. Am Straßenrand stehen ein älterer Mann und eine sehr alte Frau. Diese schreit fürchterlich herum, sie wolle nach Hause… Der alte Mann fasst sie am Arm und brüllt sie an: Du kannst nicht nach Hause, du bist zu bekloppt dafür, du muss ins Heim!“ – Dann bin ich schon wieder weg. Aber ich muss noch lange über diese brutale Ehrlichkeit nachdenken.

„Ach wäre ich doch ein Reh, dann könnte ich diese lecker aussehenden zarten grünen Spitzen an den Fichten abknabbern…“, denke ich. Jeden Frühling. Liebe Biolog_innen, fressen Rehe Fichtentriebe? Und liebe Psycholog_innen, gibt es eine Diagnose für den Wunsch, ein Reh zu sein? Semi-normale Grüße, eure Solveig

Grünau wünscht…

Seit zwei Wochen bin ich als Amtsleiterin des Amtes für Wunscherfüllung und Vielleicht-Management im Auftrag des Haus Steinstraße e.V. in Leipzig-Grünau unterwegs und befrage die Menschen zu ihren Wünschen. Vieles gäbe es zum Konzept zu erzählen, doch vorerst zähle ich einfach Mal auf, was ich gehört habe – Menschen in Grünau wünschen sich:

Dass es in Grünau mehr als eine Bibliothek gibt. Eine kleine Schwester. Abkühlung. Dass die Sparkassenfiliale wieder eröffnet. Dass die Baumstämme aus dem Robert-Koch-Park abtransportiert werden. Wieder Kontakt zu den (erwachsenen) Kindern zu haben. Ein schönes Café, in dem man auch Mal essen gehen kann und wo nicht nur das Gesindel hingeht. Einen Ferienpass. Urlaub. Dass die Krankenkasse die Podologie bezahlt, wenn der Arzt sie verordnet. Bessere Barierrefreiheit im öffentlichen Nahverkehr. Saubere Spielplätze ohne Kippen und Scherben. Mehr Hilfen für Alleinerziehende, auch wenn die Kinder schon etwas größer sind. Beratung in Liebesdingen mit dem Ziel der Eheschließung. Dass man als Mensch mit Behinderung ernst genommen und respektiert wird. Dass der Rest von Leipzig nicht auf Grünau herabschaut. Mehr Polizeipräsenz. Dass man erfährt, was ein Amt in Bezug auf den eigenen Wunsch tut, wenn man dort anruft und sein Problem schildert. Eine Muschel mit einer Perle darin zu finden. Dass die Lieferfahrzeuge zum netto-Supermarkt die eigens gebaute Zufahrt nutzen anstatt durch die Dahlienstraße zu fahren. Ein Sternburg. Mehr Parkbänke. Dass die ostdeutsche Sprache nicht ausstirbt. Dass die Mittags-und die Nachtruhe eingehalten werden. Gesundheit. Einen Laden, in dem die Kunden veranlassen können, dass jemand etwas für sie im Internet bestellt. Dass weniger Bäume gefällt werden. Eine Ballonfahrt. Dass Dyskalkulie der Lese-Rechtschreibschwäche gleichgestellt wird. Eine_n deutsch-kurdisch-Übersetzer_in. Dass das Kindergeld erhöht wird. Dass es eine Nacht lang einen rechtsfreien Raum gibt, so dass man Ausländer erschießen kann. Längere Öffnungszeiten im Stadtteilladen. Dass die schadhafte Stelle an der Treppe ausgebessert wird. Hilfe bei der Wohnungssuche. Weltfrieden. Ein Kind.