Randnotizen mit Huhn

Zwei Jahre ist es her, dass ich mich für längere Zeit in eine stationäre psychiatrische Behandlung begeben habe. In dieser Zeit sind einige Randnotizen entstanden, die ich lange nicht posten wollte. Ich wollte mich nicht über die Leute lustig machen, die mir geholfen hatten. Und ich wollte kein abwertendes Bild von Psychiatrie festigen… Allerdings: Es ist nunmal einfach so gewesen. Und ich konnte trotz Depression auch herzlich darüber lachen. Auch über das Huhn. Vor allem über das Huhn!

Genussgruppe. Es geht um Gerüche. Mir geht es schlecht. Ich fange an zu weinen und verlasse die Therapie. Versuche, mich im Bett auszuheulen. Mit verschränkten Armen und leicht verunsichert neben mir sitzend: Die Auszubildende aus dem Pflegeteam.
– Frau Hoffmann, soll ich gehen?
+ Weiß ich nicht. Nein.
Pause. Ich weine.
– Frau Hoffmann, ist alles in Ordnung?
+ Na offensichtlich nicht.
Pause. Ich weine weiter.
– Frau Hoffmann, darf ich Sie mal was fragen?
+ Weiß ich nicht. Meinetwegen.
– Wie hat denn das bei Ihnen eigentlich alles angefangen?

Schon wieder Genussgruppe.

Eine Woche später. Wieder Genussgruppe.
Es spricht die leitende Krankenpflegerin:
„Ja, guten Abend, willkommen zur Genussgruppe, Sie wissen, ja, hier bei uns in der Genussgruppe geht es immer um unsere Sinne, so wie zum Beispiel Schmecken oder Fühlen, nicht, und heute, da geht es also um den Sinn des Hörens, ja, da kann man nicht ganz so viel machen, aber Sie können da ja mal so ein bisschen gucken, dass Sie mal wieder darauf achten, zum Beispiel im Frühling, wenn wir im Wald spazieren gehen, und dann zwitschern da die Vögel, dann ist das ja angenehm, und im Herbst da gibt es ja dann doch viel weniger zu hören, bis auf den Schnee vielleicht, der fällt, und da gibt es ja dann auch die Winterdepression.“

Genussgruppe. Schon wieder. Der Tisch ist liebevoll gedeckt, das Thema sind die Farben. Alle reden durcheinander. Wir sprechen über die verschiedenen Jahreszeiten, dann werden Scherzartikel ausgegeben. Niemand fragt warum, alles wird durchprobiert. Der leitende Krankenpfleger versucht, die Runde zu strukturieren und jede_n zu Wort kommen zu lassen.
Patientin 1: Ich weiß nicht, wozu das gut sein soll.
Patientin 2: Und dann hat der Zahnarzt meinen Bruder verklagt, aber da ist nicht Recht gesprochen worden, eigentlich hätte mein Bruder verlieren müssen, aber der ist damit durchgekommen…
Patientin 3: Guckt mal, was ich für einen lustigen Hut aufhabe!
Patientin 4, mit Pfeife, laut: Trrrrrrr!
Über der Szene: Seifenblasen.
Krankenpfleger: Jaja, Farben begleiten und durch unser ganzen Leben.

…und im Hintergrund lief ein Huhn durch die Szene.

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