Nichts über Rammstein

Seit einer ganzen Weile diskutiert das Internet nun schon über Rammstein, bzw. über die Vorwürfe gegen Till Lindemann und inzwischen auch Flake. Missbrauch, Vergewaltigung, K.O.-Tropfen, Gewalt, eine sexistische Casting-Praxis, Anzeigen und Anwaltschreiben. Natürlich gilt die Unschuldsvermutung, was auch gut ist, denn die allermeisten von uns waren noch nie backstage bei Rammstein und haben daher eigentlich nicht so viel zur Debatte beizutragen. Oder doch? Ich für meinen Teil bin wahnsinnig wütend. Und deshalb schreibe ich heute mal „Nichts über Rammstein“.

Ein Hinweis vorab: Ich habe dieses Mal weniger gegendert. Natürlich weiß ich, dass auch Männer und männlich gelesene Personen Opfer von sexualisierter Gewalt werden können. Ich wollte aber, dass auch potentielle cis*männlicher Täter den Text verstehen. Danke für euer Verständnis.

„Büchsenöffner.“ Was für mich bis vor kurzem noch ein Utensil eines Astrid-Lindgren-Picknicks war, wurde mir nun mit 41 Jahren von wohlmeinenden Freunden erklärt: Den Büchsenöffner nehmen Menschen (Jungs) auf dem Land mit zur Party. Er besteht aus einer Flasche Schnaps. Frauen abzufüllen um sie „ins Bett zu kriegen“ ist eine beliebte kulturelle Praxis.

Und überhaupt: „ins Bett kriegen“? Wie kriegt man die Frauen da nur hin? Mit Hunden? Absperrungen? Sollte man vielleicht einen Salzleckstein aufstellen?

Und was wird aus denen, bei denen das nicht klappt? „Reste ficken“ – so lange weitersaufen, bis alle anderen weg sind und der traurige Rest dann eben auch endlich gut genug ist. Ist das der Plan?

Vielleicht mit einem Salzleckstein?


Wir müssen nicht über den Fall Rammstein sprechen, um zu sehen, dass wir ein riesigens gesellschaftliches Problem namens rape culture haben. Andernfalls würden die Vorwürfe auch nicht so hohe Wellen schlagen. Und die Fans und Verteidiger_innen ziehen ja auch alle Standardregister: Victim Blaming ohne Ende, ein absurdes Vertrauen in die Aufklärungsfähigkeit der Behörden und einen ordentlichen Schuss Romantisierung der Musikbranche.

Denn soviel muss klar sein, selbst wenn ich nackt und zugedröhnt im Backstagebereich rumliegen würde, umgeben von Liebesbriefen an die halbe Band – ohne ausdrücklichen und direkten consent hat niemand das Recht das auszunutzen. Wenn ich nicht mehr in der Lage wäre mich zu äußern, dann wäre ich auch nicht mehr fähig diese Entscheidung zu treffen, und da ist es egal, ob man Till, Flake oder Nepomuk heißt und am vernünftigsten wäre es vielleicht sowieso eine_n Sanitäter_in zu rufen. Ein aufgezwungener Geschlechtsverkehr ist nie die Schuld des Opfers, es hat natürlich die Verantwortung für sich selbst, nicht aber für den potentiellen Täter, übrigens auch egal wie betrunken auch dieser wiederum ist. Und, kleine Nebenbemerkung: Verantwortung für sich selbst zu übernehmen ist der beste Weg kein Täter zu werden. Nur mal so als Tipp.

Nebenbemerkung: Verantwortung für sich selbst zu übernehmen ist der beste Weg kein Täter zu werden.


Dass die Behördern sexualisierte Gewalt in welcher Form auch immer zuverlässig aufklären und angemessen bestrafen würden – ich möchte jedes Mal eine Friedenstaube mit den neuesten Statistiken losschicken, wenn ich dieses Argument lese. Sie tun es nicht, sie können es nicht, es ist sowieso schon schwierig und die Verfahrensweisen helfen auch nicht dabei. Ich empfehle das Buch „Akteneinsicht“ von Christina Clemm.

Und dann natürlich der Mythos des ungezügelten Lebens der Rockstars… Ja, diese Mythen aus den Welten der Künste, die sind ganz schön nützlich, und zwar nicht nur in der Musikbranche. Auch im Theater und im Film und was weiß ich nicht wo noch alles stabilisieren sie ungerechte, frauenfeindliche, schlicht patriarchale Strukturen.

Rammstein sind in allererster Linie eins: Ein sehr großer Arbeitgeber. Sie stehen an der Spitze einer großen Pyramide von Abhängigkeitsverhältnissen. Solche Gebilde neigen dazu, dass niemand spricht, dass Dinge klein- oder schöngeredet werden. Wem nützt es schon, schwerwiegende Anschuldigungen zu äußern? Wer denkt, dass die Frauen davon profitieren, dem werde ich diese Überzeugung nicht nehmen können. Denn die Frage ist ja: Was müsste eine Frau tun, wie schlimm und wie persönlich muss eine Frau sich äußern, damit ihr keine niedere Absicht mehr unterstellt wird? Wieviel soll sie von sich Preis geben, damit ihr geglaubt wird? Und ab welchem Punkt ist es dann schon wieder hysterisch, unrealistisch usw? Frauen können an diesem Punkt nur verlieren. Weil sie Frauen sind.

Sie werden es überstehen.


Rammstein, da bin ich mir ziemlich sicher, werden die Sache überstehen. Sie haben alle Ressourcen und per se kein Problem damit, die „bösen Jungs“ zu sein und mit Ambivalenzen zu spielen. Das ging bei den letzten Konzerten in Berlin schon los.

Das Gute ist: Ich fühle mich persönlich nicht von denen bedroht.
Das Schlechte: Ich lebe in einer Welt voller Büchsenöffner. Das ist verdammt bedrohlich und gefährlich, nehmt es endlich zur Kenntnis. Danke.



Empfehlung: Schreibtisch mit Aussicht

Ich bin keine Kritikerin – viel zu feige. Oder vielleicht doch nicht? Ich habe mir vorgenommen, nicht zu feige zu sein, in Zukunft hier zu teilen, was mich begeistert. Und den Anfang mache ich mit dem wunderbaren Buch „Schreibtisch mit Aussicht“, in dem Ilka Piepgras Werkstattberichte von Schriftstellerinnen gesammelt hat. Was für ein Glück!

Sie wollte ihren Roman anfangen, aber dann bekamen der Hund Würmer und die Kinder Ferien, und so musste sie noch etwas warten. So ungefähr steigt gleich der erste Essay „Ich schreibe nur“ von Anne Tyler ein, ziemlich witzig, ziemlich wahr, denn wer „nur“ schreibt – der kümmert sich auch um Haushalt, Kinder, Hunde. Anders als ihr Mann, der seine Autorentätigkeit mit einer vollen Stelle als Arzt koordinieren muss, er schreibt nicht „nur“, aber seine Zeit zu schreiben ist denkbar knapp bemessen. Ist es da nicht Luxus, „nur“ für Haushalt und Kinder zuständig zu sein? Doch wann kommt sie zum Schreiben? (Spoiler: Es dauert.)

Eva Menasse weiß alle 15 Seiten nicht mehr weiter. Also liest sie ihre eigenen Worte, ändert hier eine Kleinigkeit, stellt dort etwas um, „flöhen“ nennt sie diesen Prozess. Bis es irgendwann doch weitergeht. „Flöhen“, dieses Wort kann ich so gut verstehen, ich finde es so einfach und so liebevoll. Geht so schreiben?

Geht so schreiben?

Antonia Baum schreibt sehr viel über ihren Babysitter. Über ihr kleines Kind und über Erschöpfung. Und wie stereotyp das alles klingt. Wie blöd das ist, als Frau immer wieder mit diesen Klischees um die Ecke zu kommen. Denn: „Das Problem ist das Problem“.

„Dies ist eine Geschichte über zwei Schriftsteller. Mit anderen Worten, eine Geschichte über Neid.“ Wie es ist, auf den ungleich erfolgreicheren Partner neidisch zu sein, das erzählt Kathryn Chetkovich so kompromisslos, dass das Lesen richtig weh tut. „Er kämpfte vielleicht, aber er glaubte an seine Arbeit. Das war das Erste, worum ich ihn beneidete.“

Ich könnte noch mehr Textstellen nennen. Sie alle haben mich ganz tief angesprochen, denn so unterschiedlich die Berichte der Autorinnen auch sind, eines haben sie gemeinsam: Sie sind ehrlich. Oft sogar schmerzhaft ehrlich. Ich will keine unlauteren Vergleiche aufmachen, aber so manches Buch mit Briefen irgendeines Autors (am schlimmsten: Ibsen) war dagegen so unaufrichtig und aufgeblasen, dass es ein echter Genuss ist, zu lesen, was diese klugen Frauen schreiben. (Ja, es gibt auch ehrliche Männer.) Dabei geht es immer wieder um die feministischen Klassiker: Vereinbarkeit von Care-Arbeit, Broterwerb und Schreiben. Sexismus eben auch im Literaturbetrieb. Unsicherheit in einem männerdominierten Literaturbetrieb. Man ahnt es.

Und dennoch handelt es sich nicht um eine Kampfschrift auf 270 Seiten, sondern vielmehr ganz präzise Beschreibungen davon, wie die Autorinnen in dieser Welt ihre Arbeit machen. Sehr prosaische Beschreibungen. Am wichtigsten scheint es wohl zu sein, sich hinzusetzen und – zu schreiben. Es zu tun. Und dann später zu flöhen.

Autorinnen teilen ihre Erfahrungen

Es geht auch nicht in jedem Text um feministische Themen, sondern vielmehr um Handwerk, um Zustände, in denen geschrieben oder nicht geschrieben wurde, um Erfahrungen, ja, da teilen Autorinnen ganz schlicht und einfach ihre Erfahrungen. Ein riesiger Schatz.

Und weil das Buch damit alles andere als eindimensional ist, weil es sich vor keinen Karren spannen lässt, deshalb ist es mir sehr schnell sehr wertvoll geworden. Es ist feministisch, aber nicht nur feministisch. Es beschreibt das Schreiben aus einer weiblichen Perspektive. Ich habe es sehr, sehr gerne gelesen.

PS: Es sind auch eine ganze Reihe illustrer Namen vertreten (die nenne ich jetzt nicht alle, das müsst ihr mir glauben), und auch der eine oder andere Name, den ich noch nicht kannte. Da gibt es also einiges zu entdecken, und ich werde bestimmt noch das eine oder andere Buch lesen, auf das ich sonst nicht gekommen wäre.

PPS: Hier die harten Fakten: Ilka Piepgras (HG): Schreibtisch mit Aussicht. Schriftstellerinnen über ihr Schreiben. Kein & Aber: 2020.