Depression: Eine Anleitung

Kannst du Depression? Ich schon. Und das ohne Anleitung. (Tadaa!)

Kannst du Depression? Ich schon. Und das ohne Anleitung. (Tadaa!)
Die Depression, ich lebe mit ihr, werde mit ihr leben. My beloved monster and me. Ich füttere es, ich putze hinter ihm her und manchmal lache ich über seine drolligen moves. Oder ich halte es kaum aus. All das.

Das alles schaffe ich, weil ich unheimlich viel Hilfe habe. Und diese Hilfe habe ich, weil ich mich selbst darum kümmere. Sogar an absoluten Tiefpunkten habe ich Kontakte recherchiert, angerufen, mich durchgefragt, das ist meine persönliche Ressource, viele können das nicht. Und es ist auch nicht so, dass irgendjemand einem einfach eine Liste mit allen Hilfsangeboten überreicht – jede_r weiß nur immer ein kleines bisschen, und da wühlt man sich dann so durch. Ich würde mal relativ selbstbewusst behaupten, dass keine einzige der Personen, die mit mir und meiner Erkrankung befasst sind, all die Hilfsangeboten kennt, die ich kenne. Das ist ein Problem.

Leute, die mit ihrer ersten Depression ein paar Wochen im Krankenhaus landen, dann mit einer großen Medikamentenschachtel nach Hause gehen und fertig.

Denn, machen wir uns nichts vor, es gibt genug Leute, die mit ihrer ersten Depression ein paar Wochen im Krankenhaus landen, dann mit einer großen Medikamentenschachtel nach Hause gehen und fertig. Ohne Therapie (Wartezeiten…), ohne Tagesstruktur (mal einen Kuchen backen reicht nicht). Also geht es zurück ins Krankenhaus, und so müssen diese Menschen Stück für Stück auf die harte Tour lernen, wie sie sich selbst helfen können. Ich finde das furchtbar.

Mehr als einmal habe ich mit lieben Menschen zusammengesessen und mein Wissen geteilt, auch oft nochmal Neues von meinem Gegenüber erfahren. Also, habe ich mir jetzt gedacht, ich mache das jetzt einfach mal digital: Depressionswissen zum verlinken und vervollständigen. Selbstverständlich stellen meine Erfahrungen keine medizinische Beratung dar. Im Idealfall machen sie euch die Recherche etwas leichter. Viele konkrete Adressen beziehen sich auf Leipzig, aber manche allgemeine Erklärungen helfen vielleicht auch andernorts weiter. Und über Ergänzungen eurerseits freue ich mich! Also los:

Zur Diagnostik.

Habe ich überhaupt eine Depression? Nun ja, da gibt es eine ganz Reihe Symptome, und das Krankheitsbild kann ganz schön unterschiedlich aussehen. Jedenfalls kann die Schwester des Freundes von deinem Arbeitskollegen das wahrscheinlich nicht korrekt einschätzen. Seriöse Infos gibt es z.B. hier: https://www.deutsche-depressionshilfe.de/start Richtig gut finde ich das Info-Telefon Depression (bei den Angeboten), weil man da eben auch wirklich mit Fachleuten spricht und diese Beratung jederzeit verfügbar ist. Das kann auch für Angehörige hilfreich sein.

Die Diagnose stellt dann ein_e Ärzt_in oder Therapeut_in. Du kannst einfach zum_zur Hausärzt_in gehen, oder eben zum_zur Psychiater_in. Es schadet nicht, am Telefon die Dringlichkeit zu betonen! Endlose Wartezeiten sind nicht hilfreich! In den meisten Therapien geht es früher oder später um das Selbstwertgefühl – du musst das aber nicht abwarten, um für dich einzutreten. Denn das Gesundheitssystem wartet leider nicht auf Menschen mit psychischen Krankheiten. Im Zweifel bitte eine vertraute Person, dir dabei zu helfen, dich durchzusetzen. Lieber einen Vormittag im Wartezimmer warten, als 6 Monate zu Hause im Bett.

Hausärzt_in/Psychiater_in werden dir dann möglicherweise Medikamente anbieten und verschreiben und eine Therapie empfehlen. Viele Psychiater_innen sind auch Psychotherapeut_innen – das heißt aber nicht, dass sie auch als solche praktizieren (wäre wahrscheinlich auch eine finanziell schlechte Entscheidung). Es schadet aber nichts, nach Tipps und Adressen für die Therapeut_innensuche zu fragen. Und dann heißt es auch hier wieder: anrufen. Es lohnt sich häufig, in den fünf Minuten vor der vollen Stunde anzurufen, da viele Therapeut_innen dann erreichbar sind. Manchmal haben sie auch eine wöchentliche Telefonsprechstunde. Die Krankenkasse bezahlt 5 „Probestunden“, in denen du die Therapeut_innen erstmal kennenlernen kannst, es schadet also nichts, mehrere Termine auszumachen. Schließich solltest du mit der Person auch gut zusammenarbeiten können.

Und dann?

Wie sieht die Behandlung aus? Natürlich kann ich hier keine medizinischen Empfehlungen abgeben, ich bin keine Ärztin. Die Behandlung besteht in der Regel aus Medikamenten und/oder Psychotherapie. Bei den Medikamenten muss man meistens ein paar Wochen warten um zu wissen, ob sie bei einem wirken, das ist ätzend. Natürlich gibt es im Einzelfall auch Sachen, die zur Überbrückung gegeben werden, etwa um Panikattacken abzufangen. Das muss du mit dem_der Ärzt_in besprechen. Sehr häufig haben Menschen Angst, dass Psychopharmaka ihre Persönlichkeiten verändern könnten – das kann ich überhaupt nicht bestätigen. Die Nebenwirkungen können wirklich nerven, aber du bleibst du selbst. Zur Psychotherapie kannst du dir hier einen Überblick verschaffen: https://www.therapie.de/psyche/info/ Die Wartezeiten können extrem sein. Es lohnt sich herauszufinden, ob es ein Ausbildungsinstitut für Therapeut_innen in der Nähe gibt – da kriegt man oft schneller einen Platz, die angehenden Therapeut_innen sind motiviert und erhalten engmaschiger Supervision. In Leipzig gibt es da z.B. das https://www.spp-benedek.de/ . Falls du genug Geld hast, kann es auch je nach Problemlage richtig gut sein, sich jemanden zu suchen, der eine nicht von der Krankenkasse finanzierte Therapieform anbietet (Kunsttherapie, Körperpsychotherapie, systemische Therapie etc.). Das Geld kann man sich über die Gesundheitskosten teilweise bei der Steuer wieder reinholen. Allerdings würde ich für mich darauf achten, dass die Person Psychologie oder Medizin studiert hat bzw. einfach seriös arbeitet. Es geht um die Behandlung einer schweren Krankheit, nicht um Wellness.

Und dann noch eine kleine Erfahrung: Du hast monatelang auf das Erstgespräch gewartet, weitere Erstgespräche gibt es nicht mehr, das hier muss jetzt klappen. Du unterhältst dich mit der Therapeutin. Sie lacht, du lachst, du gehst. Mist. Das kann nicht klappen. Die ist viel zu nett. – Es kann eine sehr gute Idee sein, seine Bedenken zu äußern. Ohne Ehrlichkeit keine Therapie (was nicht heißt, dass man alles über sich erzählen muss). Die skizzierte Geschichte ging gut aus und die Frau hat mir dann über ein Jahr lang richtig gut geholfen.

Das reicht alles nicht. Spätestens bei einem sehr hohen Leidensdruck, bei Suizidgedanken etc. (mit Ärzt_in sprechen!) könnte es sinnvoll sein, in eine Klinik zu gehen. Entweder aus einem Notfall heraus oder geplant auf eine Depressionsstation – oder, einigermaßen stabil, auf eine Therapiestation zur stationären Psychotherapie. Zunächst ein paar Worte zur „Klapse“ – viele schämen sich sehr dafür in die Psychiatrie zu gehen. Irgendwie sitzt uns diese Scham wohl allen in den Knochen. Das ist nicht nötig. Ich habe dort schon eine frühere Chefin, den Ex-Freund meiner Regie-Assistentin und einige so nette und kluge Menschen getroffen, wie man es sich nur wünschen kann. Natürlich waren das nicht alle, aber eben doch viele. Und: In der Psychiatrie darfst du dich jederzeit schlecht fühlen. Kein Zusammenreißen. Kein Lächeln, wenn einem zum Heulen ist. Wenn das „die Gesunden“ wüssten… die würden uns die Plätze wegnehmen.

Im Notfall.

Ein paar Erfahrungen: Die Städte sind in Sektoren eingeteilt – für jeden Sektor ist ein Krankenhaus zuständig. Falls du als Notfall eingewiesen wirst und in deiner Wunschklinik kein Bett frei ist, geht es in deine zuständige Klinik. Welches Bett du dann erwischst ist Glückssache – am besten auf einer Depressionsstation, denn da ist es in der Regel ruhig. Wenn du deine Aufnahme planen kannst, dann steigt natürlich auch die Chance auf einen Platz in deiner Wunschklinik. Auf der Depressionsstation gibt es dann in der Regel einen einigermaßen strukturierten Tagesablauf mit leichtem Sport, Ergotherapie, Psychoedukation, evtl. Gruppentherapien… und sehr viel Leerlauf. Außerdem (mit deinem Einverständnis) Medikamente. Und hoffentlich Einzeltherapie. Das kommt (meiner Meinung nach) oft viel zu kurz – oft wird die Meinung vertreten, dass man erst durch die Medikamente überhaupt in die Lage kommt, eine Therapie zu machen. Das mag sein, aber ich persönlich finde, dass ich für mich eine_n Gesprächspartner_in brauche, um den Zustand, in dem ich mich befinde überhaupt einzuordnen und mich nicht noch weiter reinzusteigern. Das habe ich auch immer wieder gesagt, bis ich (kurze) Gespräche bekommen habe. Also: Lasst euch nicht abwimmeln!

Eine stationäre Psychotherapie ist natürlich eine andere Sache. Auch hier muss man erstmal einen Platz kriegen (seufz), aber dann hat man 10-12 Wochen richtig intensiv Therapie, Einzel, Gruppe, Kunst, Sport, Musik und was auch immer. Da kann man viel über sich lernen und diese Erfahrung würde ich eigentlich jedem_jeder gönnen, krank oder nicht.

Das sind die Kliniken in Leipzig: https://www.uniklinikum-leipzig.de/einrichtungen/psychiatrie-psychotherapie (Hier sitzt übrigens die psychiatrische Institutsambulanz – hier kann jede_r ohne Termin kommen, wenn es ihm_ihr schlecht geht. Wenn du also keine_n Psychiater_in findest, ist das die Möglichkeit der Wahl. Behandelt wird ambulant, aber der Weg auf Station ist natürlich schnell organisiert, wenn nötig.) Die stationäre Psychotherapie gibt es hier: https://www.uniklinikum-leipzig.de/einrichtungen/psychosomatik Dann gibt es noch das Parkkrankenhaus: https://www.helios-gesundheit.de/kliniken/leipzig-park-klinikum/unser-angebot/unsere-fachbereiche/psychiatrie/ , ebenfalls mit Depressionesstation und Therapiestation. Und dann noch Altscherbitz: https://www.skh-altscherbitz.sachsen.de/medizinische-einrichtungen/kliniken/klinik-fuer-psychiatrie-psychotherapie-und-psychosomatik/

Und das soll’s für heute erstmal sein. Falls ihr noch Interesse an weiteren Infos uns Erfahrungen habt – z.B. zu postpartaler Depression, Depression und Kinder und Familie, einfachen Alltagsstrategien und Tipps für Angehörige – dann gebt bescheid. Und bis dahin – tut was euch gut tut. Und lasst weg, was euch schadet! Gute Besserung.

100 Seiten

Ich habe sie geknackt, die 100 Seiten! Was für Seiten?
Seit Jahren habe ich den Traum, ein Buch über das Amt für Wunscherfüllung und Vielleicht-Management zu schreiben. Erst über meine Erfahrungen in meinem gleichnamigen Projekt 2018, dann doch lieber in einer fiktiven Form, um Grenzen zu überschreiten, die ich als juristische Person und sowieso eben auch einfach als „ich“ nicht überschreiten will. Warum ich für 100 Seiten nun aber fast sechs Jahre gebraucht habe, und was das Ganze mit meinem Bild von mir als arbeitendem Menschen zu tun hat – da komme ich ins Nachdenken.


Ich habe immer gern gearbeitet und war extrem intrinsisch motiviert – Kompromisse waren nur schwer auszuhalten, was sich auch im Einkommen gezeigt hat – freiberuflich in den Bereichen Kultur und Pädagogik, da verdient man gerade genug, um eine Steuererklärung abgeben zu müssen. Und ich hatte das Bild: Ich arbeite für immer, ich höre einfach nicht auf. Das war okay für mich.

Nicht mehr arbeiten können.


Dass ich nun gesundheitlich so früh an einen Punkt gekommen bin, an dem ich allen Ernstes Rentnerin (auf Zeit) geworden bin, darauf wäre ich nicht gekommen, und es war sehr schwer für mich, das zu akzeptieren. Ich habe andere Wege probiert: Krampfhaft gegen eine Krankheit angekämpft, die zu diesem Zeitpunkt einfach stärker war. Mir einen Brotjob in Teilzeit gesucht. Und massiv um den Familienfrieden gerungen, denn ein Einkommensverlust betrifft den ganzen Haushalt und belastet das soziale Gefüge, und da sollte man viel offener drüber sprechen.

Und in dieser ganzen Zeit habe ich immer wieder etwas geschrieben – hier ein paar Sätze. Dort einen Gedanken. Eine Figur entstand, die mir ähnlich ist und doch ganz anders, die alles richtig machen will und sich mal sehr originell und mal sehr dämlich verhält: Lovis, Anfang 40 und nicht immer so richtig ehrlich mit sich selbst. Ein Arbeitstitel entstand: Lovis will das Gute. Und Lovis Geschichte fing genau da an, wo meine künstlerische Arbeit aufgehört hatte: In Grünau, und zwar als Amtsleiterin des Amts für Wunscherfüllung und Vielleicht-Managements.

Lovis will das Gute


Dann kam der nächste Zusammenbruch und ich musste eine ganze Menge aufräumen. Und mich damit anfreunden, dass es nicht nur darum geht, mich nach einer Phase zu reparieren und dann weiter zu machen, sondern endlich zu akzeptieren, dass ich bestimmte Wege wahrscheinlich nicht werde gehen können. Ich hätte gerne professionell Theater gemacht, aber dazu gehört eben nicht nur kreatives Talent, sondern auch das Vermögen, sehr mobil zu sein, sehr viel zu arbeiten, Familie, Freunde, Therapien nicht immer in der Nähe zu haben, auf lange Ruhephasen zu verzichten… Ich würde sogar noch einen Schritt weitergehen: Die meisten beruflichen Positionen, in denen man wirklich etwas gestalten kann, sind mit einem Zeitaufwand, einer Mobilät etc. verbunden, der für mich aktuell schwierig wirkt. Umgekehrt sind Aufgaben ohne Gestaltungsaspekt für mich aber leider uninteressant. Ich langweile mich, und das hat noch nie gut geendet.
Also doch wieder kreativ, doch wieder selbstbestimmt, doch wieder prekär. Seit einem Jahr arbeite ich (neben der Rente) an kleineren Aufträgen als Autorin. Ich liebe es. Auch kulturpädagogisch war mal wieder was los. Endlich wieder im Bienenland! Und eben: Der Traum vom Buch. Es ist nicht leicht, denn auch wenn es mir seit geraumer Zeit deutlich besser geht, ich bekomme die Rente nicht ohne Grund. Am schwierigsten ist es mit der Konzentration, nicht selten schlafe ich beim Schreiben ein. Ich hoffe, dass das nicht am Inhalt liegt, sondern an den Medikamenten – ich bin fast sicher. Inzwischen schreibe ich dennoch jeden Tag, und es macht mir große Freude.

Ich habe Fragen!



Und weil ich an die Zukunft denke und sowieso auch trotz allem eine ehrgeizige Person bin, nehme ich die 100. Seite zum Anlass, euch jetzt endlich meine vielen Fragen zu stellen:
Ich würde gern mit einem_einer Anwält_in sprechen, mit jemandem der_die Ahnung von Fußamputationen hat, und wie findet man überhaupt einen Verlag und eine_ Agent_in?
Gibt es irgendwelche Netzwerke von Autor_innen in Leipzig und kenne ich da wen?

Ihr seht, ich will vom Sofa aus raus in die Welt und ich würde mich freuen, wenn wir uns dort treffen.
Bis dahin schließe ich völlig zusammenhangslos mit den letzten beiden Sätzen, die ich geschrieben habe, nicht repäsentativ und voller Freude. Denn die Ideen waren nie weg und haben endlich wieder Platz. Bis bald!

„Siehste, sagt Pittiplatsch.
Ich trinke das Glas aus. Arschloch.“

mein tief.unten

Wie sich eine Depression anfühlt, das ist schwer zu verstehen, sagt man. Ich weiß es auch nicht. Ich kann nur erzählen, von meinem Blick auf meine Depression. Und weil ich Lust hatte etwas auszuprobieren, ist ein kleines Zine entstanden. Thema: Lächeln und Nicken.

Es ist Sommer, die Tage hopsen vorbei. Ich hatte mir mal erzählt, dass die EU-Rente eigentlich auch ein bisschen wie ein künstlerisches Stipendium sei, dass ich nie wieder so viel Zeit für meine Ideen haben würde. Das ist möglich. Aber trotz aller Liebe zur Kreativität gibt es auch Freund_innen, Netflix, den See… und wahnsinnig viele Cafes, die ich mir eigentlich nicht leisten kann. Währenddessen stauen sich die angefangenen Textdateien auf meinem Desktop, der Nobelpreis für Literatur wird noch warten müssen. Es ist kompliziert.

Kompliziert scheint auch ein anderes Thema zu sein, das mich mein Leben lang begleiten wird: Depression. Wenngleich das Internet voll von gut recherchierten und aufbereiteten Informationen ist – zum Beispiel hier – stoßen Betroffene und Angehörige nach meiner Erfahrung immer wieder auf zwei Probleme:

  1. fehlt in der Regel eine Anlaufstelle, die alle Baustellen dieser Erkrankung – medizinische, psychische, soziale, arbeitsrechtliche und finanzielle etc. – im Blick hat und an entsprechende Stellen ganz konkret im jeweiligen Ort verweist. Diese Informationen müssen sich viele mühsam selbst erarbeiten, im besten Falle können andere Patient_innen helfen – wenn man denn mit anderen ins Gespräch kommt. Dieses Problem ist riesengroß, und ich überlege oft, wer das lösen könnte.
  2. höre ich immer wieder den Klassiker: „Wie man sich da fühlt, das kann man sich vermutlich einfach nicht vorstellen…“

Keine Ahnung. Ich weiß auch nicht, ob es erstrebenswert ist, sich das vorzustellen. Aber die Empathie zu verstehen, dass es schlimm ist, die brauchen Betroffene ganz bestimmt. Und ich finde es umgekehrt auch total gut es zu versuchen, zu versuchen zu beschreiben, was in einem vorgeht.

Depressionen sind eine Krankheit, die über die Persönlichkeit der Erkrankten wahrgenommen wird.

Depressionen sind eine Krankheit mit spezifischen Symptomen, und diese bahnen sich ihren Weg durch ganz unterschiedliche Persönlichkeiten. Ärzt_innen und Therapeut_innen können über Depressionen sprechen, ich kann nur über meine Depression sprechen. Mein tief.unten.

Durch die tolle Lyrikerin Sirka Elspaß habe ich für all diese Gedanken eine Form gefunden: Ein Zine soll es sein. Ich habe meine Dateien zusammenkopiert, verschoben, neu gemacht, Fotos hinzugefügt, den Scanner repariert… Und ein erstes Thema gefunden. Lächeln und nicken. Das ist das, was ich mache, in den Wochen, bevor es kracht. Ich tue, was alle gerne sehen, ich denke, ich schaffe alles weil ich muss, ich lächle und denke „ihr Arschlöcher“, und dann ist es bald vorbei. Beziehungsweise dann geht es erst richtig los.

Ein kleines Zine ist es geworden, die Einzüge stimmen nicht, hier und da wurde was abgeschnitten, aber ich freue mich. Es ist seit Jahren das erste, klitzekleine Projekt, das ich nicht nur angefangen, sondern auch beendet habe. Ich werde es hier verschenken, da verteilen, wenn ihr eins haben wollt, müsst ihr euch mit mir treffen. Ich freu mich jetzt einfach, dass ich das gemacht habe. Und nun: Zeit für Netflix. Oder so.

Warum ich erst im Internet nicht über meine Depressionen gesprochen habe und dann umso mehr

Zunächst die harten Fakten:
Ich habe schwere Depressionen. Erstmals diagnostiziert im Herbst 2007, dann in Episoden alle paar Jahre. Seit 2018 ist es nochmal schwieriger geworden: Derzeit beeinträchtigt mich die Erkrankung während eines Großteils meiner Zeit. Wie es weitergeht, weiß ich nicht.

Hinter diesen knappen Sätzen stehen natürlich viele Geschichten: Eine lange Krankengeschichte, ja, aber auch Geschichten des Lernens über mich selbst, von kreativen Phasen, die sich immer an meine Tiefs anschlossen, vom Wissen um Grenzen und menschliche Zusammenhänge, von Rhythmen, Mut und Mutlosigkeit. Und von einer Frage, die banaler nicht sein könnte: Wem erzähle ich davon?

Ich schäme mich nicht für meine Krankheit.

Äußerlich war ich in dieser Frage immer sehr klar: Ich schäme mich nicht für meine Krankheit. Aber sie definiert mich nicht. Deshalb möchte ich mich online nicht über sie äußern. Mein Alptraum: Dass man irgendwann „Solveig Hoffmann“ googlet und „Depression“ vorgeschlagen bekommt.

Dass unterschwellig natürlich noch eine Menge anderer Gedanken mitschwangen – heute sehe ich das weitaus deutlicher, als während der ersten 11 Jahre meiner Krankengeschichte. Die erklärenden Sätze: „aber ich komme gut aus dem Bett“, „ich bin trotzdem ganz lustig“, „die Medikamente verändern meine Persönlichkeit nicht“. Die ewige, leidige Frage, ob man beruflichen Kontakten von seiner Krankheit erzählen soll. NEIN, schrien die einen, das sei eine ganz schlechte Idee. Aber wenn du ihnen vertraust, argumentierten die anderen, dann sei die Vertrauenbasis dadurch noch größer. Beides habe ich erlebt: Klare, persönliche Absprachen, aber auch den Verlust eines Auftrags, nachdem ich meine Diagnose benannt hatte. Diskriminierung war es, eine Diskriminierte war ich. Muss man auch erstmal schlucken.

Aber ich war stark, dachte ich. Und die Depression nur ein Teil meines Lebens. Wer mich näher kannte, der wusste bescheid. Die anderen nicht. Dann kam 2018.

Dann kam 2018.

Nach Monaten des Projekte Absagens, durch den Wald Laufens, Medikamente Schluckens kapitulierte ich und ging akut depressiv ins Krankenhaus. Ich sollte lange dort bleiben. Mein Gesundheitszustand schwankte so stark, dass ich nicht entlassen werden konnte. Und in dieser Kraftprobe löste sich die Regel „keine Depression im Internet“ irgendwie in Luft auf. Erst in diesem Artikel hier auf dem Blog, dann in meinem Kranichprojekt auf Instagram: Wenn ich nicht weiter wusste, faltete ich Kraniche und hängte sie in die Bäume. Fotos davon stellte ich unter #kranichcontent auf Instagram. Es wurden viele Fotos und noch viel mehr Kraniche. Und das Projekt und die Rückmeldungen darauf gaben mir viel Kraft.

Was hatte mich bewogen, meine Regel zu kippen? Als erstes natürlich der support, den ich ab sofort im Internet erfuhr. Mein Instagram-Account liegt in einer äußerst wertschätzenden, bestärkenden Blase. Als zweites die bittere Erkenntnis, dass mich meine Krankheit eben sehr wohl definiert. Natürlich habe ich noch 1000 andere Dinge zu bieten, aber nichtsdestotrotz ist die Depression etwas, was die Leute von mir wissen müssen, wenn sie mich verstehen wollen. Und drittens, und das habe ich erst im Tun begriffen, ist der einzige Grund, sich nicht öffentlich zu seiner Krankheit zu äußern, die Angst vor Diskriminierung.

Es gibt überhaupt keinen Grund, etwas so Wichtiges von mir zu verschweigen.

Das wollte ich lange nicht einsehen, aber es ist wahr. Es gibt überhaupt keinen vernünftigen Grund, etwas so Wichtiges von sich zu verschweigen, es sei denn, man erwartet Nachteile, abfällige Bemerkungen oder Schlimmeres. Diese Angst sitzt tief: Schon allein die Tatsache, dass ich inzwischen auch sehr persönlich über mich schreibe, aktiviert regelmäßig meine unbarmherzige innere Kritikerin: Das ist eine Nabelschau, peinlich, zuviel… Ist es nicht. Was ich von mir erzähle, entscheide ich, und wenn es für mich stimmt, dann stimmt es. Meine Depression gehört mir, deshalb darf ich sie teilen, mit wem immer ich will.

Ich bin keine Heldin. Aber in den letzten Jahren habe ich gelitten. Sehr. Genug um mir zu wünschen, dass mir die Meinung potentiell Diskriminierender egal ist. Ich bin ich, mit Depression, take it or leave it.

Deswegen habe ich früher im Internet nicht über meine Krankheit gesprochen; jetzt aber umso mehr.