Nicht gut genug.

Was war das für ein Wochenende in Leipzig. Das Urteil gegen Lina E. und ihre Mitangeklagten hatte wie erwartet mobilisiert und einmal mehr konnte man in Echtzeit beobachten, wie es zur Eskalation zwischen Behörden/Polizei und linken Demonstranten kam. Es ging um Politik, um die leidige Extremismustheorie, um Verhältnismäßigkeit und Grundrechte, Versammlungsfreiheit und Gewalt, und das alles direkt in meiner Nachbarschaft. Nun, nach mehreren Tagen, kreist der Hubschrauber nicht mehr über unseren Köpfen. Ich habe die Augen geschlossen, durchgeatmet, die Augen geöffnet und muss sagen: Das, liebe Leute, war nicht gut genug.

Die Konfrontationen zwischen Polizei und „der“ Antifa haben natürlich eine lange Geschichte, gerade hier im Süden Leipzigs, und diese Geschichte wird zumeist stark verkürzt erzählt: Es gibt keinen linksradikalen Verein, in dessen Satzung steht, man habe monatlich einen Polizisten zu verzehren, oder sonst irgendeinen Unsinn. Oft komme ich in die Verlegenheit, Leute beruhigen zu müssen: Entgegen mancher Berichterstattung lässt es sich in Connewitz gut leben, es gibt ein gutes Krankenhaus, Leipzigs beliebteste Geburtsklinik, es gibt Kleingärten, Spielplätze und Kneipen, alles fein. Es gibt sogar eine ganze Menge Senioren. Und die Geschichte der linken Szene im Stadtteil ist eine lange und hat nicht erst letzte Woche begonnen. Es lohnt sich, sich damit zu befassen.

Und dann gibt es, gerade hier im Süden der Stadt, eben immer wieder diese Zusammenstöße zwischen Polizei und linken Demonstranten. Es ist ein festgefahrener Konflikt, und auch, wenn die Geschichte dieses Konflikts wichtig ist, möchte ich mich jetzt nicht auf die klassische Frage einlassen, wer denn hier angefangen habe, denn WTF – es geht hier um mehr als Schuldzuweisungen. Ich würde sogar so weit gehen, dass es eine Verhöhnung linker Politik ist, sich einzig und allein auf diesem Level abzuarbeiten.

Das Gegenteil von Eskalation.

Und natürlich darf ich als Bürgerin dieses Staates erwarten, dass Behörden und Polizei sich nicht an einer Gewalteskalation beteiligen. Demos einfach zu verbieten ist das Gegenteil von Deeskalation. Und es greift auch zu kurz, dies mit einem Verweis auf die Garantie von Gewaltfreiheit durch den Versammlungsleiter zu tun – jeder Depp kann im Internet zur Gewalt aufrufen und die Gesamtveranstaltung diskreditieren, wie soll denn eine Einzelperson das kontrollieren. Dies wäre Aufgabe der Polizei, denke ich mit meinem schlichten Verstand, oder nicht? Die Verbotslösung war jedenfalls: Nicht gut genug.

Und die Deeskalation ist ja dann auch nicht gelungen. Es gab jede Menge Gewalt, Steine aus der Menge, Aggressivität aus den Reihen der Polizei, unwürdige Bedingungen in der eingekesselten Gruppe, wir kennen die Berichte. Wie können die Verantwortlichen jetzt ernsthaft von einem gelungenen Einsatz sprechen? Was ist denn daran gelungen? Das war: Nicht gut genug! Und von Deeskalation: Keine Spur.

Und das alles passt natürlich ganz allgemein zu vielen Kritikpunkten am Polizeiapparat, an der fehlenden Kontrolle, an fehlender Reflektion, an zu großen Entscheidungsbefugnissen rund um Demonstrationen usw. Weil es dabei um eine ganze Menge geht, möchte ich diesen Punkt noch weiter öffnen: Das Versagen der Polizei rund um das Thema internalisierter Rassismus in den eigenen Reihen, um Polizist_innen mit rechter Gesinnung in den eigenen Reihen, zum Glück gibt es inzwischen wenigstens die Berichterstattung darüber, ich lese z.B. gern bei Gilda Sahebi oder Mohamed Amjahid. Dass unser Staat es nicht schafft, hier wirklich zu reformieren ist existentiell. Und nicht gut genug.

Zieht den Finger aus dem Arsch!

Und das bringt mich zu meiner Kritik an „der“ außerparlamentarischen Linken: Wenn eine Lage so verfahren ist, dann, so sage ich mal ganz unakademisch, dann muss halt auch irgendwer einfach mal den Finger aus dem Arsch ziehen, und sich besser als die anderen verhalten, auch wenn es unfair ist. Es geht nicht darum, wer angefangen hat, es geht darum, ein menschenwürdiges Leben für alle, auch für marginalisierte Gruppen zu ermöglichen, es geht darum, Diskriminierungen abzuschaffen und sich als Staat immer wieder neu zu reflektieren. Das ist, zumindest für mich, das große Ziel. Und davon sind wir nach diesem Wochenende einmal mehr weit entfernt. Jede fliegende Bierflasche, jede brennende Mülltonne bringt neue Stimmen für die AfD, stärkt rechte Netzwerke, deren Rückhalt in der Bevölkerung. Soviel strategisches Denken sollte doch auch in einer aufgeladenen Demo noch möglich sein?! Nicht gut genug!

Diese Aktionen bringen Geflüchteten gar nichts, sie grenzen Kinder und Familien aus, die in der Regel unter diesen Bedingungen nicht mitlaufen werden, sie dienen der Selbstbestätigung, nicht aber der perspektivischen Verbesserung unserer Lebensumstände. Ich wünsche mit eine offene Linke, die sich nicht anbiedert, aber im Gespräch bleibt, und ich weiß auch, dass es viele Menschen gibt, die genau das leben. Die aber am letzten Wochenende wieder einmal nicht zu Wort kamen. Nicht gut genug.

Nächstes Jahr sind Landtagswahlen.

Nächstes Jahr sind Landtagswahlen, unter anderem in Sachsen und Thüringen, mit besten Chancen für Bernd Höcke und Konsorten. An seiner Stelle würde ich in jede Demo ein paar verkleidete Steinewerfer_innen einschleusen, das wirkt sich für ihn nämlich ganz prächtig aus. Wahrscheinlich öffnet er sich dabei sogar einen Sekt. Aber nicht, weil er wirklich was zu bieten hätte. Sondern weil wir nicht gut genug waren. Echt mal.

Also, lasst die Hosen runter, springt in den Zug und ändert was. Siehe Video.

Ich fühl’s nicht. Der Wahlkampf auf Instagram.

Aus einer eigenartigen Faszination heraus folge ich schon lange Philipp Amthor auf Instagram. Es ist langweilig (Texte) bis verstörend (Bilder). Vor der Wahl habe ich mein Interesse auf Spitzenpolitiker_innen aller großen Parteien ausgedehnt.

Ich fühl’s nicht. Die Bundestagswahl 2021 steht unmittelbar bevor, und anstatt Argumente vorgetragen zu bekommen, gucke ich mir bei einem blauhaarigen YouTuber an, welche Politiker_innen besonders korrupt sind. Das sind Inhalte, die besprochen werden müssen. Und im Gegensatz zu den Kolleg_innen im Bundestag hat er verstanden, wie social media funktioniert. Literally.

Da wäre zum Beispiel die CDU. Das Strickmuster von Amthor geht so: Gestern war ich in/an/auf ___________. Gute Gespräche und spannende Diskussionen mit __________. Danke _______ für die Organisation dieser Veranstaltung! Gemeinsam konnten wir zeigen: Kluge Sachpolitik statt linker Experimente! Plus Bild von Amthor in Anzug und mit einem Karpfen. Oder so. Wahrscheinlich hat er sich diesen Lückentext auf den Unterarm tätowiert, er nutzt ihn jedenfalls ausgiebig. Noch nie dürfte ich lesen, was diese klare Sachpolitik für Ziele verfolgt, worin sie besteht… Nix. Also mal lieber bei Armin Laschet vorbeischauen.

Da läuft der Laden nämlich.

Nordrhein-Westfalen. Armin Laschet postet gern zu Nordrhein-Westfalen. Da läuft der Laden nämlich. Ansonsten sieht man viele Bilder mit einem freundlichen Gesicht (ja, ich meine schon seins). Je näher die Wahl rückt, desto größer ist natürlich schon der Druck, insofern verirren sich inzwischen auch Zeilen aus dem Parteiprogramm in die Texte. Was diese mit seiner Person zu tun haben, was ihm besonders wichtig ist, wie er persönlich Politik gestalten will? Ich fühl’s nicht und ich lese es auch nicht.

Als Sahnehäubchen dann noch Friedrich Merz dabei zuzusehen, wie er durch das Sauerland marschiert (spaziert kann ich da einfach nicht sagen) gibt der Sache dann den Rest: Merz würde alles tun, damit ihm die CDU wieder gehört, und wenn er für dieses Instagram raus in die Natur muss, dann bitte. Er geht mit der Zeit. Und die Zeit geht ihm bitte aus dem Weg.

Und wie sieht’s bei den Freund_innen der CDU aus, was macht die FDP? Christian Lindner postet fleißig, bringt auch ein paar Inhalte unter und zählt gerne die anstehenden Wahlkampf-Termine aus. Alles ganz ordentlich gemacht. Ich fühl’s trotzdem wieder nicht, und der Grund ist banal: Ich bin eine arbeitsunfähige Künstlerin, die auf die 40 zugeht und kein Wohneigentum hat. Mich gibt es bei der FDP nicht. Wir haben uns nichts zu sagen. Ich werde „es“ nicht aus eigener Kraft schaffen. Wohlwollend nehme ich noch zur Kenntnis, dass Lindner sich einen Bart hat stehen lassen, so dass man die aktuellen Bilder von denen der letzten Wahl unterscheiden kann. Und damit bin ich raus.

Ich muss hässlich lachen.

Wenden wir uns den linken Parteien zu, denke ich, muss hässlich lachen und suche nach Olaf Scholz. Der megalinke Shootingstar der Umfragen. Natürlich auch auf Insta. Allein… Er postet nichts! Alle paar Jahre mal ein blasser Text, keine Stories, die SPD ernährt sich von alten Leuten, und die sind nicht in den sozialen Netzwerken unterwegs. Und außerdem klappt es so prima, sich einfach hinter Laschet zu verstecken während dieser vor sich hinonkelt, dass man da noch nicht früher drauf gekommen ist… Jedenfalls: Keine Ahnung, wofür Olaf Scholz inhaltlich steht, ich weiß nur Cum-Ex und Wirecard. Obwohl er dazu auch nichts schreibt. Aber das kommt irgendwie in jedem Text vor, den ich über ihn lese. Danke, liebe informierte Texteschreiber_innen!

Die CDU wird natürlich nicht müde zu beschwören, dass es nach der Wahl ein rot-rotes Bündnis geben würde, und dass damit Stalin kurz vor Berlin stehen würde, praktisch. Das ist natürlich möglich, aus dem Instagram-Auftritt von Janine Wissler geht das eigentlich aber nicht hervor. Hier findet man fundierte Überschriften zu Texten, die es nicht gibt, Auflistungen von Tourdaten und Fotos von Plakaten in Bildzeitungsoptik. Keine Ahnung, welchen Bezug die Kandidatin zu ihren Themen hat. Keine Ahnung, was sie auf Instagram überhaupt will. Auch hier gilt wieder: Ich fühl’s nicht.

Da steckt viel Arbeit drin.

Gibt es denn auch ein Positivbeispiel? Na klar, ich habe es mir bis zum Schluss aufgehoben: Annalena Baerbock und Robert Habeck. Jeden Tag posten sie beide einen längeren Text, in dem sie erst auf die Orte eingehen, die sie besucht haben, von dort zu einem Thema kommen, ihren Bezug dazu erklären und dann auf die betreffenden Pläne ihres Programms eingehen. Da steckt viel Arbeit drin, soviel Arbeit macht sich keine andere Partei. Vermutlich verschrecken die langen Texte bildungsferne Wähler_innen, grundsätzlich sind sie aber einfach und klar formuliert. Von den Grünen weiß ich ziemlich genau was sie wie machen wollen. Isso.

Insgesamt aber war der Wahlkampf auf Instagram beleidigend langweilig. Und so hoffe ich einmal mehr, dass die Zeit der Trielle und großen Reden schnell vorbeigeht. Wen ich wähle? Normalerweise erzähle ich das nicht. Aber dieses Mal ist es einfach:

Ich habe einen kleinen Sohn. Ich will nicht, dass er gegrillt wird. Deshalb wähle ich die Partei mit dem besten Klimaschutzkonzept. Und das sind objektiv die Grünen. Ob mit Instagram oder ohne.

Bitte wählt die auch. Das fühle ich. Danke.

PS: Falls irgendein Schlaumeier anmerken möchte, dass ich die AfD vergessen habe: Ja. Das war auch so gemeint. Danke.

PPS: Und die CSU? Ich folge Andi Scheuer. Textende.