Von Pädagogik in Kultur und Sport

Mein Sohn interessiert sich für Fußball. Anlass für mich, über die integrative Kraft von Sport nachzudenken und ziemlich unzufrieden mit den Fußballvereinen zu werden.

auf dem Bolzplatz

Wieder und wieder wird die integrative Kraft des Sports beschworen. Als mein Sohn sich für Fußball interessiert, mache ich mir Gedanken und vergleiche Kultur- und Sportpädagogik in Bezug auf Integration. Spoiler: Der Sport schneidet nicht so toll ab.

Und dann war es passiert: Mein kleiner Sohn stand fasziniert am Rand des Fußballplatzes und sah den kickenden „großen“ Jungs zu. Vor meinem inneren Auge zog das nächste Hobby in unsere Familie ein, ein weiteres Hobby, mit dem ich nichts am Hut habe: Sportvereine. Als hätte seine Autoleidenschaft mir nicht gereicht. Nun also: Fußball.

Damit wir uns richtig verstehen: Gegen den Sport „Fußball“ habe ich nichts, im Gegenteil, ich habe selbst gespielt. Mit der inoffiziellen Mannschaft der Theaterwissenschaft SPVGG Nemesis bolzte ich jeden Sonntag durch den Park, und unser einziges Spiel gegen die Medizin verloren wir nur knapp (0:6). Das Ganze war eine wunderbare Erfahrung, ging es in dieser Mannschaft doch darum zu lachen und befreundet zu sein. Seitdem mache ich (wieder) gerne Sport. Nur eben ohne das Leistungsprinzip.

Und noch ein weiterer Punkt zum richtigen Verständnis: Ich habe auch überhaupt nichts dagegen, wenn talentierte Kinder und Jugendliche ihren Sport auf hohem Niveau betreiben und danach streben, besser zu werden – so sie das selber wollen. Ich möchte niemanden aufhalten. Aber dass es im Schulsport weniger um Leistungssport und mehr um Gesundheitsförderung gehen sollte, ist meines Erachtens eine Selbstverständlichkeit.

Es geht immer mehr um Leistung.

Da stand er nun also, mein Sohn, eine Horde Grundschüler kickte hingebungsvoll, ein Vater/Torwart gab den Trainer und viele schlaue Anweisungen. Später am Abend ließ ich meine Gedanken schweifen und googlete ein paar Leipziger Fußballclubs. Auf der Ebene der „Bambini“, also der Kindergartenkinder, war viel von Spiel und Spaß die Rede, die Leistung stand nicht im Vordergrund. Nach und nach sollte dann während der Grundschulzeit das Spielen gegen andere Vereine etabliert werden, mit anderen Worten Tuniere. Es geht also von Jahr zu Jahr mehr um Leistung. Wer Fußball spielt, möchte das Spiel gewinnen, das liegt in der Natur der Sache.

Gedanklich wanderte ich weiter zu zahllosen Gelegenheiten, bei denen die integrative Kraft des Sports und die Wichtigkeit der Sportförderung hervorgehoben wurden. Und dann eben wirklich zum Traumziel der Kinder und Jugendlichen, dem Spitzensport. Der Spitzenfußball ist reich, mehr als reich. Aber integriert er die Menschen? Ein kurzer Blick zurück auf die EM und die Haltung der UEFA zum Bekenntnis zu LGBTQI+ reicht, um Grenzen sichtbar zu machen. Und überhaupt, diese Haltung um jeden Preis unpolitisch zu sein, was ganz offensichtlich sowieso nicht funktioniert – führt die zur Integration von Menschen, oder steht ein Arbeiter in Katar nicht doch eher draußen? Und mit „draußen“ meine ich außerhalb eines Raums, in dem Menschenrechte und Menschenwürde von Bedeutung sind. Könnte die FIFA nicht einfach sagen, jawohl, wir halten uns raus aus der Tagespolitik, aber die UN-Menschenrechtskonvention, an die halten wir uns öffentlich? Würde halt viele nice Geschäfte stören.

Da war ich nun bei den großen politischen Unstimmigkeiten des Spitzensports angekommen, und dabei war ja noch nichts weiter passiert, nur ein paar kickende Jungs und ein faszinierter Sohn. Aber was würde geschehen, falls er wirklich in einen Sportverein gehen wollen würde? Ich würde ihn natürlich lassen. Und insgeheim würde ich seinen Verein, die dortige sportpädagogische Arbeit mit der kulturpädagogischen Arbeit vergleichen, die ich früher gemacht habe, die soviele Kolleg_innen immernoch machen. Gehen die Trainer_innen auf die Ideen der Kinder ein? Gibt es „richtig/falsch“, oder werden alle Gedanken der Kinder aufgegriffen? In welcher Weise wird bewertet? Und, ganz wichtig, wer wird integriert und wer nicht? Tatsächlich werden Mädchen bei den Vereinen immerhin theoretisch integriert. Inwiefern ausländische Kinder und Jugendliche im Sportverein landen dürfte davon abhängen, ob sie jemanden kennen, der ihnen den „Weg“ dorthin zeigt. Behinderte Kinder und Jugendliche? Damit müssen sich Sportvereine anscheinend nicht befassen.

Für mich war das normal.

Für mich war das aber normal: Lernbehinderung. Autismus. Rollstuhl. Ab auf die Bühne und eine Inszenierung machen, dabei das Kind in seinen Kompetenzen sehen und wertschätzend fördern. Ein Kind das kein Deutsch sprach? Ab auf die Bühne, dann machen wir halt Pantomime. Eine extrem talentierte Jugendliche? Da muss ich eben vermitteln, damit alle zusammenarbeiten können. Denn bei aller individuellen Förderung: Die Inszenierung soll schon trotzdem schön sein, damit auch alle stolz darauf sein können.

Diese Anforderungen sind anstrengend, aber ich will sie auf keinen Fall mindern. Nein, ich will, dass sie auf den Sport ausgedehnt werden, weil das ganz einfach echte Integration bedeuten würde. Es kann ja nicht sein, dass alle, die integriert sein wollen Theater spielen müssen – ist ja auch nicht jedermanns Sache. Rollstuhlfahrer_innen in die Fußballvereine! Auch wenn sich deren Arbeit dann verändern muss. Gerade weil sich deren Arbeit dann verändern muss.

Bislang kenne ich nur einen Verein, dem ich das theoretisch zutrauen würde: Roter Stern Leipzig e.V. Aber wie cool wäre es, wenn es nicht nur eine mixed abled Tanz-Company im LOFFT gäbe, sondern auch eine mixed abled Mannschaft bei RB-Leipzig?

Man wird ja noch träumen dürfen. Mein Sohn träumt auch.

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