Depression: Eine Anleitung

Kannst du Depression? Ich schon. Und das ohne Anleitung. (Tadaa!)

Kannst du Depression? Ich schon. Und das ohne Anleitung. (Tadaa!)
Die Depression, ich lebe mit ihr, werde mit ihr leben. My beloved monster and me. Ich füttere es, ich putze hinter ihm her und manchmal lache ich über seine drolligen moves. Oder ich halte es kaum aus. All das.

Das alles schaffe ich, weil ich unheimlich viel Hilfe habe. Und diese Hilfe habe ich, weil ich mich selbst darum kümmere. Sogar an absoluten Tiefpunkten habe ich Kontakte recherchiert, angerufen, mich durchgefragt, das ist meine persönliche Ressource, viele können das nicht. Und es ist auch nicht so, dass irgendjemand einem einfach eine Liste mit allen Hilfsangeboten überreicht – jede_r weiß nur immer ein kleines bisschen, und da wühlt man sich dann so durch. Ich würde mal relativ selbstbewusst behaupten, dass keine einzige der Personen, die mit mir und meiner Erkrankung befasst sind, all die Hilfsangeboten kennt, die ich kenne. Das ist ein Problem.

Leute, die mit ihrer ersten Depression ein paar Wochen im Krankenhaus landen, dann mit einer großen Medikamentenschachtel nach Hause gehen und fertig.

Denn, machen wir uns nichts vor, es gibt genug Leute, die mit ihrer ersten Depression ein paar Wochen im Krankenhaus landen, dann mit einer großen Medikamentenschachtel nach Hause gehen und fertig. Ohne Therapie (Wartezeiten…), ohne Tagesstruktur (mal einen Kuchen backen reicht nicht). Also geht es zurück ins Krankenhaus, und so müssen diese Menschen Stück für Stück auf die harte Tour lernen, wie sie sich selbst helfen können. Ich finde das furchtbar.

Mehr als einmal habe ich mit lieben Menschen zusammengesessen und mein Wissen geteilt, auch oft nochmal Neues von meinem Gegenüber erfahren. Also, habe ich mir jetzt gedacht, ich mache das jetzt einfach mal digital: Depressionswissen zum verlinken und vervollständigen. Selbstverständlich stellen meine Erfahrungen keine medizinische Beratung dar. Im Idealfall machen sie euch die Recherche etwas leichter. Viele konkrete Adressen beziehen sich auf Leipzig, aber manche allgemeine Erklärungen helfen vielleicht auch andernorts weiter. Und über Ergänzungen eurerseits freue ich mich! Also los:

Zur Diagnostik.

Habe ich überhaupt eine Depression? Nun ja, da gibt es eine ganz Reihe Symptome, und das Krankheitsbild kann ganz schön unterschiedlich aussehen. Jedenfalls kann die Schwester des Freundes von deinem Arbeitskollegen das wahrscheinlich nicht korrekt einschätzen. Seriöse Infos gibt es z.B. hier: https://www.deutsche-depressionshilfe.de/start Richtig gut finde ich das Info-Telefon Depression (bei den Angeboten), weil man da eben auch wirklich mit Fachleuten spricht und diese Beratung jederzeit verfügbar ist. Das kann auch für Angehörige hilfreich sein.

Die Diagnose stellt dann ein_e Ärzt_in oder Therapeut_in. Du kannst einfach zum_zur Hausärzt_in gehen, oder eben zum_zur Psychiater_in. Es schadet nicht, am Telefon die Dringlichkeit zu betonen! Endlose Wartezeiten sind nicht hilfreich! In den meisten Therapien geht es früher oder später um das Selbstwertgefühl – du musst das aber nicht abwarten, um für dich einzutreten. Denn das Gesundheitssystem wartet leider nicht auf Menschen mit psychischen Krankheiten. Im Zweifel bitte eine vertraute Person, dir dabei zu helfen, dich durchzusetzen. Lieber einen Vormittag im Wartezimmer warten, als 6 Monate zu Hause im Bett.

Hausärzt_in/Psychiater_in werden dir dann möglicherweise Medikamente anbieten und verschreiben und eine Therapie empfehlen. Viele Psychiater_innen sind auch Psychotherapeut_innen – das heißt aber nicht, dass sie auch als solche praktizieren (wäre wahrscheinlich auch eine finanziell schlechte Entscheidung). Es schadet aber nichts, nach Tipps und Adressen für die Therapeut_innensuche zu fragen. Und dann heißt es auch hier wieder: anrufen. Es lohnt sich häufig, in den fünf Minuten vor der vollen Stunde anzurufen, da viele Therapeut_innen dann erreichbar sind. Manchmal haben sie auch eine wöchentliche Telefonsprechstunde. Die Krankenkasse bezahlt 5 „Probestunden“, in denen du die Therapeut_innen erstmal kennenlernen kannst, es schadet also nichts, mehrere Termine auszumachen. Schließich solltest du mit der Person auch gut zusammenarbeiten können.

Und dann?

Wie sieht die Behandlung aus? Natürlich kann ich hier keine medizinischen Empfehlungen abgeben, ich bin keine Ärztin. Die Behandlung besteht in der Regel aus Medikamenten und/oder Psychotherapie. Bei den Medikamenten muss man meistens ein paar Wochen warten um zu wissen, ob sie bei einem wirken, das ist ätzend. Natürlich gibt es im Einzelfall auch Sachen, die zur Überbrückung gegeben werden, etwa um Panikattacken abzufangen. Das muss du mit dem_der Ärzt_in besprechen. Sehr häufig haben Menschen Angst, dass Psychopharmaka ihre Persönlichkeiten verändern könnten – das kann ich überhaupt nicht bestätigen. Die Nebenwirkungen können wirklich nerven, aber du bleibst du selbst. Zur Psychotherapie kannst du dir hier einen Überblick verschaffen: https://www.therapie.de/psyche/info/ Die Wartezeiten können extrem sein. Es lohnt sich herauszufinden, ob es ein Ausbildungsinstitut für Therapeut_innen in der Nähe gibt – da kriegt man oft schneller einen Platz, die angehenden Therapeut_innen sind motiviert und erhalten engmaschiger Supervision. In Leipzig gibt es da z.B. das https://www.spp-benedek.de/ . Falls du genug Geld hast, kann es auch je nach Problemlage richtig gut sein, sich jemanden zu suchen, der eine nicht von der Krankenkasse finanzierte Therapieform anbietet (Kunsttherapie, Körperpsychotherapie, systemische Therapie etc.). Das Geld kann man sich über die Gesundheitskosten teilweise bei der Steuer wieder reinholen. Allerdings würde ich für mich darauf achten, dass die Person Psychologie oder Medizin studiert hat bzw. einfach seriös arbeitet. Es geht um die Behandlung einer schweren Krankheit, nicht um Wellness.

Und dann noch eine kleine Erfahrung: Du hast monatelang auf das Erstgespräch gewartet, weitere Erstgespräche gibt es nicht mehr, das hier muss jetzt klappen. Du unterhältst dich mit der Therapeutin. Sie lacht, du lachst, du gehst. Mist. Das kann nicht klappen. Die ist viel zu nett. – Es kann eine sehr gute Idee sein, seine Bedenken zu äußern. Ohne Ehrlichkeit keine Therapie (was nicht heißt, dass man alles über sich erzählen muss). Die skizzierte Geschichte ging gut aus und die Frau hat mir dann über ein Jahr lang richtig gut geholfen.

Das reicht alles nicht. Spätestens bei einem sehr hohen Leidensdruck, bei Suizidgedanken etc. (mit Ärzt_in sprechen!) könnte es sinnvoll sein, in eine Klinik zu gehen. Entweder aus einem Notfall heraus oder geplant auf eine Depressionsstation – oder, einigermaßen stabil, auf eine Therapiestation zur stationären Psychotherapie. Zunächst ein paar Worte zur „Klapse“ – viele schämen sich sehr dafür in die Psychiatrie zu gehen. Irgendwie sitzt uns diese Scham wohl allen in den Knochen. Das ist nicht nötig. Ich habe dort schon eine frühere Chefin, den Ex-Freund meiner Regie-Assistentin und einige so nette und kluge Menschen getroffen, wie man es sich nur wünschen kann. Natürlich waren das nicht alle, aber eben doch viele. Und: In der Psychiatrie darfst du dich jederzeit schlecht fühlen. Kein Zusammenreißen. Kein Lächeln, wenn einem zum Heulen ist. Wenn das „die Gesunden“ wüssten… die würden uns die Plätze wegnehmen.

Im Notfall.

Ein paar Erfahrungen: Die Städte sind in Sektoren eingeteilt – für jeden Sektor ist ein Krankenhaus zuständig. Falls du als Notfall eingewiesen wirst und in deiner Wunschklinik kein Bett frei ist, geht es in deine zuständige Klinik. Welches Bett du dann erwischst ist Glückssache – am besten auf einer Depressionsstation, denn da ist es in der Regel ruhig. Wenn du deine Aufnahme planen kannst, dann steigt natürlich auch die Chance auf einen Platz in deiner Wunschklinik. Auf der Depressionsstation gibt es dann in der Regel einen einigermaßen strukturierten Tagesablauf mit leichtem Sport, Ergotherapie, Psychoedukation, evtl. Gruppentherapien… und sehr viel Leerlauf. Außerdem (mit deinem Einverständnis) Medikamente. Und hoffentlich Einzeltherapie. Das kommt (meiner Meinung nach) oft viel zu kurz – oft wird die Meinung vertreten, dass man erst durch die Medikamente überhaupt in die Lage kommt, eine Therapie zu machen. Das mag sein, aber ich persönlich finde, dass ich für mich eine_n Gesprächspartner_in brauche, um den Zustand, in dem ich mich befinde überhaupt einzuordnen und mich nicht noch weiter reinzusteigern. Das habe ich auch immer wieder gesagt, bis ich (kurze) Gespräche bekommen habe. Also: Lasst euch nicht abwimmeln!

Eine stationäre Psychotherapie ist natürlich eine andere Sache. Auch hier muss man erstmal einen Platz kriegen (seufz), aber dann hat man 10-12 Wochen richtig intensiv Therapie, Einzel, Gruppe, Kunst, Sport, Musik und was auch immer. Da kann man viel über sich lernen und diese Erfahrung würde ich eigentlich jedem_jeder gönnen, krank oder nicht.

Das sind die Kliniken in Leipzig: https://www.uniklinikum-leipzig.de/einrichtungen/psychiatrie-psychotherapie (Hier sitzt übrigens die psychiatrische Institutsambulanz – hier kann jede_r ohne Termin kommen, wenn es ihm_ihr schlecht geht. Wenn du also keine_n Psychiater_in findest, ist das die Möglichkeit der Wahl. Behandelt wird ambulant, aber der Weg auf Station ist natürlich schnell organisiert, wenn nötig.) Die stationäre Psychotherapie gibt es hier: https://www.uniklinikum-leipzig.de/einrichtungen/psychosomatik Dann gibt es noch das Parkkrankenhaus: https://www.helios-gesundheit.de/kliniken/leipzig-park-klinikum/unser-angebot/unsere-fachbereiche/psychiatrie/ , ebenfalls mit Depressionesstation und Therapiestation. Und dann noch Altscherbitz: https://www.skh-altscherbitz.sachsen.de/medizinische-einrichtungen/kliniken/klinik-fuer-psychiatrie-psychotherapie-und-psychosomatik/

Und das soll’s für heute erstmal sein. Falls ihr noch Interesse an weiteren Infos uns Erfahrungen habt – z.B. zu postpartaler Depression, Depression und Kinder und Familie, einfachen Alltagsstrategien und Tipps für Angehörige – dann gebt bescheid. Und bis dahin – tut was euch gut tut. Und lasst weg, was euch schadet! Gute Besserung.

Psychisch krank. Sozial kränker.

Die Migrationsdebatte wird von Debatten um grausame Gewalttaten einzelner bestimmt – mit dabei immer eine kleine Formulierung: „psychisch krank“. Wieso redet da niemand drüber und fordert das Offensichtliche: eine bessere medizinische Behandlung für alle Menschen, unabhängig von Herkunft und Hautfarbe?

Es gibt da dieses unwürdige und grausame Spiel, das wir seit einigen Jahren spielen, es geht ungefähr so:

– etwas Schreckliches passiert, zuletzt in Aschaffenburg, der Täter ist nicht weiß
A: Der muss weg. Wieso war der noch nicht weg?
B: Rassismus, Humanismus, psychisch krank.
A: Psychisch krank… Der muss weg, die sind verrückt, Melderegister, Abschiebung…
B: 100 juristische und praktische Gründe + trotzdem noch ein paar Zugeständnisse…
Alle: Meinung, Meinung, viel Geschrei und Brutalität


Ich kann mir das nicht mehr anhören. Und es gibt sehr viele Ansatzpunkte, an denen dieser Ablauf zu kritisieren ist, und das wird glücklicherweise auch immer wieder getan, auch wenn die Verbesserungen leider überschaubar sind. Nur zu einer Stelle wird leider wenig gesprochen: Wie kann es sein, dass im Jahr 2025 die Zauberformel „psychisch krank“ immer noch bereitwillig als Erklärung für jedwedes Verhalten akzeptiert wird – von Täter_innen wie von Gesellschaft?

Die Zauberformel: psychisch krank.

Die allermeisten Menschen mit psychischen Erkrankungen, so meine These, wollen natürlich nicht mit derartigen Taten in einen Topf geworfen werden – wer will das schon. Dass sie sowieso schon täglich mit Stigmatisierung zu tun haben, dürfte diesen Effekt nur bestärken. Und dann… Sind die Schicksale dieser Täter_innen natürlich auch einfach sehr sehr traurig. Aus Gründen müssen Patient_innen mit psychischen Erkrankungen oft auch den Fokus bei sich behalten.

Und doch… Zufällig weiß ich ein, zwei Dinge über psychische Erkrankungen, zufällig kenne ich viele psychisch Erkrankte, zufällig, weil ich selbst eine bin. Zufällig sind diese Krankheiten zumindest teilweise nämlich sehr normal und sehr weit verbreitet. Auch wir sind alle Menschen und sehr unterschiedlich, und auch die einzelnen Krankheitsbilder unterscheiden sich natürlich. Aber die allermeisten, das weiß ich, haben Angst. Schämen sich. Stehen unter massivem Druck. Auch in manischen oder psychotischen Phasen schaden sie zuallererst: Sich selbst. Stürzen irgendwann ab und finden sich finanziell ruiniert und sozial isoliert auf irgendeiner Station wieder. Ganz sicher sind sie weitaus stärker gefährdet, selbst Opfer von Gewalt zu werden, als anderen etwas anzutun (siehe offenen Brief weiter unten). Mediziner_innen könnten dazu sicher noch weit mehr schreiben.

Bessere medizinische Behandlung für Asylbewerber_innen


Und das würde ich mir auch wünschen, denn irgendwie ist das Internet hier relativ leer. Es gibt einen unterschreibenswerten Brief gegen Carsten Linnemanns schamlose Idee eines Melderegisters für psychisch Kranke. Aber die meisten Interessenverbände oder Aktivisten/Prominenten unterscheiden hier wohl: Zwischen den psychischen Krankheiten der einen und der anderen, der Menschen mit und ohne Staatsbürgerschaft? Hautfarbe? Was eigentlich? Scheinbar nehmen sie das Thema vielleicht einfach nicht wahr. Wo sich jemand äußert, ist die Ansage deutlich, etwa fordert das Ärzteblatt eine deutlich bessere medizinische Behandlung für psychisch kranke Asylbewerber_innen, und bestens aufbereitete Informationen zu posttraumatischen Belastungsstörungen bei Geflüchteten gibt es bei der BPB bereits seit 2016.

Im Falle des Täters von Aschaffenburg habe ich natürlich keinen Einblick und auch keine Kompetenz, um seine Krankengeschichte zu verstehen. Wenn ich aber lese, dass er aus Afghanistan geflüchtet ist, dass er dann trotz allem auch hier weder Perspektive noch Stabilität gefunden hat und letztlich aufgrund der anstehenden Ausreise unter hohem Druck stand, dann weiß ich wirklich nicht, wie das ein_e Psychiater_in mit ein paar Pillen kurzfristig auffangen sollte. Es fehlt an Dolmetscher_innen für die Behandlung, in den ersten drei Jahren gibt es in der Regel sowieso nur Notfallversorgung – das reicht einfach nicht und verschlimmert wahrscheinlich Probleme, Stichwort Chronifizierung. Die Medien sind voll von rassistisch gefärbten Horrorgeschichten – wie sich dergleichen auf psychisch kranke Täter_innen auswirken kann, ist im Podcast Schwarz Rot Blut (Folge 6) hervorragend erklärt. Unter diesen Bedingungen kann ein Mensch nicht gesund werden. Ganz sicher ist es das krasse Gegenteil von Prävention.

Das Gegenteil von Prävention.


Der Plan ist also: Wir schieben schwer kranke Menschen ab.
In Afghanistan wird der Mann auch nicht vernünftig behandelt werden. Seine Zukunft ist uns egal. Da gibt es nichts zu deuteln.

Ich finde das zutiefst grausam und diese Asylpolitik falsch und auch dumm, um das klar zu sagen. Ein Mensch allein mag psychisch krank sein – eine große Gruppe Menschen, die ihre Probleme nur so „lösen“ kann, ist sozial krank. Das sage ich in dem Wissen, dass beides nicht so einfach heilbar ist, sondern viel Reflexion, Zeit und Zuwendung braucht.

Und natürlich ist es deshalb keine Lösung, da einfach weiterzuwursteln. Schlicht auf der gesundheitlichen Ebene wünsche ich mir aber ganz klar und am liebsten sofort: Mehr Solidarität mit allen psychisch kranken Menschen, unabhängig von Herkunft und Hautfarbe. Wir sind so viele, und wir kämpfen so sehr: Mit Wartezeiten auf Therapieplätze, mit Diskriminierung und auch schlicht mit der Krankheit selbst. Warum verhalten wir uns nicht solidarisch? Aus Angst, mit Gewalttäter_innen verwechselt zu werden? Auch wir gehören zu dieser Gesellschaft und tragen zu ihr bei. Schluss mit Angst und Scham, sie sind nicht immer gute Ratgeber. Warum äußern wir uns nicht:

Ich bin’s, Solveig, ich lebe seit 18 Jahren mit Depressionen und ich erwarte, dass alle, auch nicht-weiße Menschen mit psychischen Erkrankungen vernünftig behandelt werden. Jetzt ihr. Bittedankegerneweitersagen.